piwik no script img

„Hoch die Kickers überall...“

Die Stuttgarter Kickers schlagen den MSV Duisburg mit 1:0 und betreiben glänzende Produktwerbung Der Verfolger Schalkes auf seinem Weg in die erste Bundesliga kommt aus der Stuttgarter Vorstadt  ■ Im Degerloch Peter Unfried

Blau und weiß sind unsere Farben

hoch die Kickers überall

die sich Tradition erwarben

denn sie bleiben stets am Ball

(Aus dem Kickerslied)

„Nach Degerloch?“ motzte das Nies, „zu den Kickers?“ Und dann kam der Satz: „Zum VfB wär ich ja mitgegangen...“ Nicht daß sich das Nies nicht für die Kickers interessierte, es will immer wissen, wie die gespielt haben. Liest auch aufmerksam den Spielbericht, aber eben erst, wenn es mit dem vom VfB durch ist. Und wenn es ins Stadion schwebt, will es halt Sammer und Kögl sehen, nicht Stadler und Tattermusch.

Aber bitteschön, die Stuttgarter Kickers sind seit Monaten unbesiegt, der Aufstieg ist greifbar und der Gegner MSV Duisburg, der Tabellenzweite. Da pilgerten 10.098 ZuschauerInnen unter den Fernsehturm, um den Hauch des Außergewöhnlichen, das Gefühl, das es um etwas geht, auch mal zweiter Klasse einzusaugen. „Liebe Zuschauer, ich muß ihnen leider sagen, das Spiel ist ausverkauft“, der Ansager mußte sich vorkommen wie in einer fremden Welt. Denn mehr als 5.000 kommen selten nach Degerloch. Dort liegt etwa die Grenze der echten, der überzeugten, der monogamen „Blauen“. Für sie sind die Kicker deeer Club, der einzige. Für sie sind „die da unten“ in Cannstadt nichts. Die Geschichte vom „blauen“ Metzgermeister, der sich partout weigerte, „rote“ VfBler in seinem Laden zu bedienen, ist Legende.

Doch der Fußball selbst ist ein Produkt, und Rivalität ist schön und gut, solange sie hilft, dieses „Markenprodukt im sportlichen Bereich“ (Kickers-Manager Dieter Dollmann) zu verkaufen. Doch für Sentimentalitäten und Herzblut bleibt nicht mehr viel Raum, eigentlich gar keiner mehr. „Sympathisanten haben wir sehr viele, die müssen durch sportliche Leistung in Anhänger umgewandelt werden“, sagt der Manager. Das Produkt Kickers, trotz aller im Vereinslied propagierten Tradition, hat in Stuttgart den Nachteil, daß es erst seit dem Erreichen des Pokalfinales 1987 zum Markenprodukt avanciert ist. Seither wird versucht, Boden und Marktanteile gutzumachen, die nach alter Sitte und Gewohnheit dem VfB Stuttgart zur Gänze gehören. Wobei die überheblichen „Roten“ von dieser Konkurrenz nichts wissen wollen. Sie sehen sich in anderen Regionen als direkter Rivale von Bayern München um die „Südmacht“, die Stadt hat Präsident Mayer-Vorfelder längst abgehakt.

Aber: Zuschauergewinne sind Imagesache. Und wenn man vom Sonderfall St.Pauli absieht, identifiziert sich der Interessierte lieber mit dem Team, das oft gewinnt und vorne steht. Und das tun die Kickers im Moment — und schon kommen 5.000 extra. Doppelzuschauer sind's, „Rote“, die die Trennung nicht mehr für unüberwindbar halten. Sie kommen, weil es in Degerloch was fürs Geld gibt.

Zugegeben, die Duisburger waren am Dienstag alles andere als ein Team, das mit aller Macht um den Aufstieg kämpft. Die Zebras kämpften mit ihren Nerven, fabrizierten Fehlpässe am oder gar im eigenen Strafraum und konnten eigentlich dank Trainer Willibald Kremers Verweigerungstaktik gar kein Tor schießen. Die Kickers dagegen spielten teilweise aufregenden Fußball. Etwa wenn Marcus Marin mit einem Steilpaß davonzufliegen schien oder Sturmkollege Moutas auf engstem Raum der Ball am Fuß klebte. Fünf-, sechs-, ach was, mindestens achtmal hatten die „Blauen“ Überzahl im Zebrastrafraum, auf der Gegenseite stand nur ein Schuß(-versuch) von Ewald Lienen.

Kein Wunder, daß am Ende Tausende eigens für diesen Anlaß verteilter kleiner blauer Wedel wedelten, ein blau-weißer Jubelsturm ausbrach, ein „Kickers-Kickers“-Gejubele einsetzte und das unvermeidliche „Heia, heia, Kickers vor“ aus den plärrenden Lautsprecherboxen krakeelte.

Keine Frage: Schalke kann kommen (am Samstag in einer Woche). Trainer Rainer Zobel, einst Beckenbauers Knappe bei den Bayern: „Ich freue mich auf Schalke!“ Sein Selbstvertrauen und das der Mannschaft ist inzwischen gewaltig. Es gibt eigentlich nur ein Problem: Das Spiel ist im Neckarstadion, in Cannstadt unten, und das ist, wie ein Fan bemerkte, „noch mehr auswärts als sonst auswärts“. Doch der war wahrscheinlich noch vom alten Schlag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen