Hitzlspergers Coming-out: Man of the Match
Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger sagt öffentlich, dass er schwul ist. Er ist der erste deutsche Profi, der das tut.
BERLIN taz | Journalisten, englische zumal, lieben Alliterationen. Sie sahen also den sehr strammen Schuss des jungen Deutschen und nannten ihn fortan „Hitz the Hammer“. Thomas Hitzlsperger, der Fußballer mit dem hammerharten linken Fuß, spielte seinerzeit in England bei dem Club Aston Villa.
Er war mit gerade mal 18 Jahren aus Deutschland geflohen vor den hohen Anforderungen, denen er in München beim FC Bayern hätte genügen müssen. Vielleicht ist er auch aus einem anderen Grund auf die Insel in die Liga der Blutgrätscher und harten Hunde gegangen. Vielleicht war es auch eine Flucht vor sich selbst, eine Art Exorzismus, den Bulldozer wie Paul Gascoigne oder Roy Keane flankieren sollten.
Die Premier League ist bis heute ein Hort des Machismo. Das sollte sich auch nicht ändern, als die Sun vor 24 Jahren titelte: „I am gay“. Geoutet hatte sich der schwarze Fußballer Justin Fashanu, der bis dahin für renommierte Klubs wie Nottingham Forrest, West Ham United oder Manchester City gespielt hatte. Mit seiner Karriere in der Premier League war es allerdings nach dem großen Aufmacher in der Sun vorbei; Fashanu nahm sich 1998 das Leben.
Auch heute hätte es wohl ein offen schwuler Fußballer in den Topligen von England, Spanien, Italien oder Deutschland schwer. Das bestätigt nun auch Thomas Hitzlsperger in einem Interview mit der Zeit. Das Onlineportal der Wochenzeitung machte seine Homosexualität am Mittwoch publik. „Ich habe mich nie dafür geschämt, dass ich nun mal so bin“, sagt er.
Tabuzone Bundesliga
Trotzdem seien die Sprüche der Kollegen schwer zu ertragen gewesen. „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird.“
Als er sehr jung nach England ging, wurde der Sohn eines Landwirts aus dem bayerischen Forstinning von seiner Freundin Inga Totzauer begleitet. Doch einen Monat vor der geplanten Hochzeit trennten sich die beiden im Juni 2007. „Das war eine schwere Zeit. Ich will und werde das nicht ausbreiten und bin froh, dass die Presse das auch weitgehend akzeptiert hat“, sagte er damals und lieferte keine weiteren Details.
Trotzdem kursierten danach Gerüchte, Vermutungen, mit denen auch etliche andere Bundesligaprofis und Nationalspieler leben müssen. Es ist mittlerweile zu einem Spiel geworden, diesen oder jenen Kicker in die schwule Ecke zu stellen.
Dieses Spiel wird umso verbissener gespielt, je länger die Verkniffenheit des Fußballbusiness anhält und je länger Empfehlungen von Bundesligabossen ausgesprochen werden, Profis mögen sich doch lieber nicht outen, weil die Konsequenzen in der Tabuzone Bundesliga nicht abzusehen seien. Hitzlsperger hält dieses Horrorszenario für „spekulativ“, vielmehr eröffneten sich auch Chancen und Spielräume, man könne „die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen“.
Autovervollständigung von Google
Wenn man in der Suchfunktion von Google „Thomas Hitzlsperger“ eingab, dann erschien zuerst das Stichwort „schwul“. Das war bis vor einigen Monaten so. Hitzlsperger hat sich offensichtlich gegen die sogenannte Autovervollständigung von Google gewehrt, denn heute erscheinen die Stichworte „privat“, „Freundin“ und „neue Freundin“. Aber das dürfte sich nach seinem Outing schnell ändern.
Denn heute ist Hitzlsperger in der Medienwelt und Blogosphäre so etwas wie der „Man of the Match“. Der 31-Jährige hat es zwar nicht vermocht, in seiner Laufbahn als aktiver Fußballer mit der Sache herauszukommen, aber vier Monate nach seinem Karriereende ist er immerhin der erste deutsche Fußballpromi, der zu seinem Schwulsein in der Öffentlichkeit steht.
Ein Vorreiter ist er der ehemalige Nationalspieler freilich nicht. Vor ihm gab es den Fußballer Marcus Urban, der sich als schwul outete. Vor sechs Jahren erschien dessen Biografie mit dem Titel „Versteckspieler“. Urban hatte als Jugendlicher für den FC Rot-Weiß Erfurt und die DDR-Nationalmannschaft gespielt, scheute aber eine Karriere als Profi, weil ihm der Druck, sich als Homosexueller in der Fußballwelt verstecken zu müssen, zu groß erschien. Während Urban sehr früh klar war, dass er schwul ist, scheint Hitzlsperger mit sich gerungen zu haben: „Erst in den letzten Jahren dämmerte mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammenleben möchte“, sagt er im Zeit-Interview. Das Bewusstsein, homosexuell zu sein, sei „ein langwieriger und schwieriger Prozess“ gewesen.
Gedanken des DFB
Hitzlsperger sagt, Homosexualität werde im Fußball „schlicht ignoriert“, er kenne bis heute keinen Fußballer persönlich, der das zu seinem Thema gemacht habe. Hitzlsperger hat also keinen Mitstreiter in England getroffen und keinen beim VfB Stuttgart, wo er vier Jahre spielte und sogar Kapitän war, nicht bei Lazio Rom und auch nicht auf seiner letzten Station, die ihn wieder auf die Insel führte, zu West Ham United.
Seine besten Jahre hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich. Der Mittelfeldspieler, den alle seine Trainer für einen netten Kerl und untadeligen Sportsmann hielten, hatte da schon eine kritische Distanz zur Fußballszene entwickelt. Dem Fußballmagazin Rund sagte er: „Ich habe die Zeit abonniert, weil die nicht über Sport schreiben.“
Vor einem Jahr deutete sich bereits an, dass die Zeit reif ist für Thomas Hitzlsperger. Im fluter, einem Blatt der Bundeszentrale für politische Bildung, wurde ein Interview mit einem schwulen Bundesligaprofi abgedruckt, dessen Name nicht genannt wurde. „Ich muss täglich den Schauspieler geben und mich selbst verleugnen“, sagt jener Anonymus.
Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht sich seitdem, etwas unbeholfen, Gedanken, wie man mit so einem Fall zu verfahren habe. „Im Profi-Bereich empfiehlt sich aus medialer Sicht ein offensives, geplantes Coming-out, welches im Idealfall im unmittelbaren Nachgang einer Saison platziert wird“, heißt es in einer Infobroschüre des Verbands. Bis zur neuen Saison hätte sich aufgrund der „medialen Halbwertszeit einer solchen Neuigkeit“ die Lage wieder beruhigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen