: Historische Forschung
Betr.: „Im Streit mit Gott und der Welt“, taz nord v. 12. 6.
Der Bericht lässt die sonst gewohnte Qualität der taz vermissen. Schon die Überschrift ist verfehlt. Gerd Lüdemann liegt nicht im Streit mit Gott und der Welt, sondern mit der Leitung der hannoverschen Landeskirche, die auf dem Göttinger Lehrstuhl für Neues Testament nur einen bekenntnistreuen Historiker dulden will.
„Die Jungfrauengeburt ist ein Weihnachtsmärchen. Die Auferstehung hat es nie gegeben, nicht Jesus, sondern Paulus gründete das Christentum – das sind Lüdemanns neue Dogmen.“ Auch das ist ein Fehlurteil. Lüdemann lehrt eben keine Dogmen, sondern betreibt historische Forschung nach allgemein anerkannter wissenschaftlicher Methode.
„Nicht mal die Nächstenliebe ist für ihn noch christlichen Ursprungs, sondern eine altjüdische Weisheit.“ Das darf niemanden verwundern, denn das Gebot der Nächstenliebe findet sich bereits 3. Mose 19,18.
So werden Selbstverständlichkeiten, die jeder Kundige weiß oder wissen kann, als kuriose Ketzereien eines unfriedlichen Einzelkämpfers dargestellt.
Das eigentliche Problem wird gar nicht erörtert. In der Hauptsache geht es darum, ob eine Theologische Fakultät nicht ihr Existenzrecht an einer vom Staat unterhaltenen Universität einbüßt, wenn sie mit kirchlichem Vorurteil Wissenschaft betreiben will. (...) Erinnert sei an die Rede eines hervorragenden evangelischen Theologen und Hochschullehrers, nämlich Adolf Harnacks, vom 3. 8. 1901. Da heißt es u.a.: „Wir können und dürfen bei unserer geschichtlichen Arbeit nicht an die Lehren und Bedürfnisse der Kirchen denken; wir wären pflichtvergessen, wenn wir in jedem einzelnen Fall etwas anderes im Auge hätten als die reine Erkenntnis der Sache.“ Und weiter: „Dass aber die zukünftigen Diener der evangelischen Kirche durch eine solche Schule hindurchgehen, die sie zur ernstesten Prüfung auffordert, das entspricht letztlich den obersten Grundsätzen dieser Kirche selbst.“WINFRIED STOELLGER, Hannover