: Hirn-Koralle zwischen Glas
Alvaro Restrepo über seine Solo-Performance Tetralogia – Una Vision de Colombia beim Laokoon-Festival auf Kampnagel ■ Von Marga Wolff
Es ist gar nicht so einfach, in dem wortgewandten Mann mit den wachen Augen hinter runden Brillengläsern das „Urvieh“ aus dem magischen Tanzpoem Rebis zu entdecken, das da hechelnd und grunzend im ziegelroten Staub kauerte. Vor einem Jahr, zur Eröffnung des letzten Internationalen Sommertheater Festivals, tanzte Alvaro Restrepo dieses dunkel-mystische Ritual einer wundersamen Metamorphose, schlug noch einmal das Hamburger Publikum mit diesem Tanzsolo in den Bann, für das er hier bereits 1992 den Mobil-Pegasus-Preis erhalten hatte. Nun ist der Choreograf und Tänzer aus Kolumbien erneut auf Kampnagel zu Gast, am 31. August bei Gordana Vnuks erstem Sommerfestival Laokoon und gleich mit einer Uraufführung.
Tetralogia – Una Vision de Colombia, eine Vision von Kolumbien, meint Restrepo, werde sein gesamtes choreografisches Werk zusammenfassen. Vier Stunden wird dieses Tanzspektakel in vier Solo-Akten für zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer, ihn selbst eingeschlossen, dauern. Ursprünglich sollten die Teile abwechselnd in zwei Hallen gespielt werden. Das Konzept wurde aus technischen Gründen wieder fallen gelassen.
Dabei braucht es in Restrepos Kunst nicht viel, um die Imagination anzuregen. Das Bühnenbild wird sich aus unzähligen kleinsten Gegenständen zusammenfügen. „Entlang der Objekte entwickelt sich die Dramaturgie. Daher bezeichne ich das Stück als eine Tanz-installation.“ Glasfläschchen, Tonskulpturen und dazwischen immer wieder Fundstücke wie die weiße Koralle, gewachsen in Windungen, ähnlich dem menschlichen Gehirn. Die hatte er sich in einem früheren Stück schon auf den Kopf geschnallt, gleich einer Krone, in die sich die Spuren der Zeit eingraviert haben.
Wenn Alvaro Restrepo erst ins Erzählen kommt, scheint seine Phantasie grenzenlos. Von schlängelnden Booten redet er dann. Von vorwitzig geöffneten Geschenken, aus denen Millionen von Ameisen hervorquellen und den Himmel verdunkeln. Nicht alle konnten die Götter wieder einfangen. Und so teilt sich seither der Lauf der Zeit in Tag und Nacht. Das besagt jedenfalls die Geschichte La canoa-culebra (das Schlangenkanu) der Dessana-Indianer, die Restrepo zum ersten Kapitel seines Vierteilers inspirierte. Neugierig ist er, voller Forscherdrang. Ein Anthropologe des Tanzes gewissermaßen. In den Mythen und Riten der Naturvölker sucht er immer wieder nach dem Schlüssel, der ihn in seiner Kunst zu etwas wie „Wahrheit“ führt. „Viel zu lange“, beteuert er, „haben wir dieses Wissen als primitiv abgetan.“
Ursprünglich hatte Restrepo Schriftsteller werden wollen und ein Studium der Philosophie und Literatur begonnen. Seine Bilder tanzten im Kopf und nicht in den Spiegeln eines Ballettsaales. Jean Genets Erzählung Für einen Seiltänzer zitiert er heute, wenn er seine Suche als Tänzer und Performer beschreibt: „Du musst in dein eigenes Bild verliebt sein. Nicht, um es auszustellen. Du bist keine Hure. Ein einsamer Liebhaber ist es, der da über das Seil geht – und verschwindet.“
24 Jahre war er bereits alt, als er zum Tanz kam. Ein Stipendium führte ihn nach New York in die Studios von Martha Graham und Merce Cunningham. Sein wichtigster Lehrer sei jedoch der koreanische Choreograf Cho Kyoo-Hyun gewesen. „Er hat mir den spirituellen Zugang zu mir selbst im Tanz geöffnet.“ Den Weg verfolgt der mittlerweile 43-Jährige bis heute, wobei sein drahtiger Körper nichts an Expressivität eingebüßt hat. Die Berührung mit dem Tanz sei für ihn eine Offenbarung gewesen. Kein Wunder nach einer Erziehung in einem katholischen Kloster unter der Obhut von Nonnen und Mönchen. Stabat Mater, der Teil, in dem er sich mit dem Katholizismus, mit dem Schmerz, mit der Gewalt, mit der verlorenen Unschuld in seinem Land auseinander setzt, rechnet wohl auch mit der persönlichen Vergangenheit ab. Er habe schon überlegt, sagt Restrepo, ob er das Stück nicht besser Reise aus dem Labyrinth nennen sollte, kennzeichnend für die verfahrene Situation in seinem vom Bürgerkrieg geschüttelten Land. Zudem eine Metapher auf die Krise der gegenseitigen Verständigung in diesem Schmelztiegel der Kulturen.
Cartagena de Indias am Karibischen Meer ist Restrepos Heimat. Hier leitet er heute neben seiner Companía Athanor Danza das karitativ-künstlerische Jugendprojekt El Punte (die Brü-cke), eine Tanzschule für die Kinder der Ärms-ten der Armen, nicht zuletzt, um ihnen Würde und Selbstachtung zurückzugeben. Die Arbeit mit den Kindern habe ihn an das eigentliche Kolumbien, man könnte sagen, an das „Herz“ dieses Landes herangeführt. „Künstler müssen sich mehr engagieren, ohne ihre künstlerische Qualität dabei zu verlieren. Gerade in einem Land wie Kolumbien ist es unmöglich, in einem Elfenbeinturm zu leben. Die Leute müssen die Kraft, die die Kunst haben kann, spüren.“ Gordana Vnuk plant, die Zusammenarbeit mit Alvaro Restrepo, der bereits mehrmals bei dem bislang von ihr geleiteten Eurokaz-Festival in Zagreb zu Gast war, auf Kampnagel in einem Projekt mit Hamburger Jugendlichen fortzuführen.
Uraufführung: 31.8., 19.30 Uhr, weitere Vorstellung: 1.9., 19.30 Uhr, Kampnagel
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