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Hinterzimmer schlägt Basis

■ Thea Bock verzichtet auf erneute Bundestagskandidatur / Ex-Senator Curilla darf nach Bonn / Parteichef Frahm kritisiert Kungelei   Von Uli Exner

Erfolgreiche Mandatskungelei im Wahlkreis Nord, Abteilung SPD-Hinterzimmer. Die derzeitige Bundestagsabgeordnete Thea Bock hat gestern auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Damit ist der Weg nach Bonn für den im Dezember geschaßten früheren Finanzsenator Wolfgang Curilla fast frei. Er muß sich jetzt nur noch gegen den Bürgerschaftswahlverlierer und CDU-Kandidaten in Nord, Dirk Fischer, durchsetzen.

In einem Schreiben an die „lieben Genossinnen und Genossen“ begründet Bock ihren Rückzug mit mangelnder „Offenheit, Transparenz und Demokratie“ bei der Kandidatenfindung in ihrer Partei. Übersetzt: Die Ex-GALierin sah nach entsprechenden Interventionen hochrangiger SPD-Funktionäre keine Chance mehr, sich bei der Wahlkreiskonferenz im Februar gegen Curilla durchzusetzen. Eine von ihr vorgeschlagene Mitgliederbefragung über den künftigen Kandidaten hatte der SPD-Kreisvorstand Nord abgelehnt. Der ebenfalls für den Wahlkreis Nord zuständige SPD-Kreis Wandsbek hatte sich mit einem entsprechenden Antrag erst gar nicht befaßt.

Per Hamburger Morgenpost hatte Nord-Kreischef Detlef Scheele gestern schon einmal prophylaktisch die Begründung für das Hinterzimmer-Manöver geliefert: „Alle sieben Distriktsvorsitzenden“, so wird der Sozialdemokrat zitiert, hätten sich gegen eine erneute Kandidatur Bocks ausgesprochen. Ihr fehle es an „Ausstrahlung“ und „politischer Initiative“, eine Mitgliederbefragung sei unnötig, da alle Parteidistrikte die beiden Kandidaten zur Befragung eingeladen hätten. Bei diesen Versammlungen könne die Basis auch ihr Votum abgeben. Eine eher wackelige Argumentation, wie nicht nur eine Einladung des SPD-Distrikts Winterhude-Nord beweist.

Dort hatte Distriktschef Georg Wirtz mitsamt der Einladung zur Distriktsversammlung mit Bock und Curilla gleich eine deutliche Empfehlung für den früheren Finanzsenator versandt: „Seine Kandidatur geht auf meinen Wunsch zurück“. Eine recht eigenwillige Interpretation der Aufgaben eines Vorsitzenden, die Wirtz-Kungelbruder Scheele gestern nicht davon abhielt, das Aufstellungsverfahren im Wahlkreis Nord als „demokratisch und korrekt“ zu loben.

Eine Ansicht, die SPD-Parteichef Helmuth Frahm nicht ganz teilt. Zwar sei die von Bock kritisierte Art der Kandidatenfindung „rechtsstaatlich nicht anfechtbar“. Der Nord-SPD, so Frahms moderat vorgetragene Schelte, „hätte es aber gut angestanden, etwas tiefer in die Partei hineinzuhorchen“.

Doch dazu hatten die traditionell zur Selbstgefälligkeit tendierenden Nord-Funktionäre nun gar keine Lust. Seit Wochen galt der Abschuß Bocks als ausgemachte Sache und wurde hinter kaum noch vorgehaltener Hand in Partei und Medien transportiert. Schließlich gab's eine Scharte auszuwetzen: Die Kandidatin Bock war vor den Bundestagswahlen 1990 von Senatschef Voscherau gegen den Willen der Kreisfürsten durchgesetzt worden. Ein „Experiment“, das dero Nord-Gnaden Scheele gestern für gescheitert erklärte.

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