: Hinein in die Zeitmaschine
Besser kriegt man den Sound der psychedelischen Sixties dieser Tage nicht. The Magnificent Brotherhood spielen heute im nbi
Die Archäologie ist eine eher träge Wissenschaft. Man gräbt und schaufelt, wühlt im Dreck, pinselt und pustet, um – wenn man Glück hat – mal einen schon leicht angegammelten Schatz aus der Vergangenheit zu bergen. Auch Kiryk Drewinski und Erik Haegert sind begeisterte Archäologen: Seit mehr als zehn Jahren forschen sie mit Bands, die Liquid Visions oder Straw Fever hießen, am Vermächtnis der Sechzigerjahre.
Doch erst nun, mit ihrem neuen Projekt The Magnificent Brotherhood, schaffen es die beiden Berliner ihre Grundlagenforschung endlich in ein schick schillerndes Produkt umzusetzen. Gitarrist Drewinski und Organist Haegert ist es, unterstützt von Jan Rohrbach am Bass und Schlagzeuger Lars Puder, gelungen, eine Zeitmaschine zu konstruieren, die einen bei den mittlerweile legendären Auftritten der Band problemlos und ohne größere Nebenwirkungen in die goldenen Sixties befördert.
Dort scheppert das Tamburin und piepst die Farfisa-Orgel, flirrt die Rickenbacker-Gitarre und jammert der Sänger um sein Baby, das ihn im Zweifelsfall gerade wieder verlassen hat. Im Hintergrund bimmeln Glöckchen und wabert irgendwas nicht eindeutig Identifizierbares. Das, liebe Kinder, nennt man psychedelisch, und ist der Versuch, die Wirkung gewisser Drogen ohne ebendiese Drogen nachzustellen. Musik, die noch viel besser funktioniert, wenn man die Drogen, deren Wirkung sie nachstellen soll, dann doch einnimmt.
Aber auch ohne diese exzeptionelle Wirkung ist die prunkvolle Bruderschaft auf ihrem selbstbetitelten und selbstverlegten, zwar nagelneuen, aber hoffnungslos altmodischen Debütalbum ein echtes Erlebnis. Oder zumindest eine spannende Schulstunde mit großer Liebe zum geschichtlichen Detail. Denn tatsächlich sind The Magnificent Brotherhood den in der Fachpresse gefeierten australischen Jungspunden The Checks oder anderen retrospektiv gestimmten Bands wie Jet oder Wolfmother sogar weit überlegen, weil sie ihre hemmungslos rückwärtsgewandten Anstrengungen nicht erst mit Geschwafel tarnen, das gespickt ist mit Vokabeln wie „zeitlos“, „vorsichtig aktualisiert“, „immer“, „noch“ und „modern“. Denn: Wenn man schon eine Geschichtsstunde will, dann soll der Lehrer nicht erzählen, dass die alten Pharaonen eigentlich schon alle relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen vorausgedacht und wir uns die letzten 2.000 Jahre auch hätten sparen können.
Stattdessen steht das Quartett überzeugt zum rein konservatorischen Charakter ihrer Bemühungen und steckt die Energie lieber in die Liebe zum Detail. Auf der CD-Verpackung blubbern Blasen und flattern Wolken, und innen drin geht es mal bluesiger zu und mal etwas folkiger, mal auch mit Country-Einflüssen oder endgültig verdaddelt wie im LSD-Rausch. Mal klingt das wie die Doors („Lifetime“), mal wie Jefferson Airplane („Mindgarage“) oder wie Led Zeppelin („Better Hurry“), wie die Zombies oder die Byrds. Natürlich ist manches Solo zu lang geraten und fast jedes Instrument darf mal ran mit einer eigenen Einlage, also sogar das Schlagzeug. Aber was soll sein? Wenn man schon in die Vergangenheit reist, dann muss man halt auch den entsprechenden Jetlag in Kauf nehmen.
Die entscheidende Frage bleibt allerdings: Braucht man die exakte Nachstellung eines vier Jahrzehnte alten Musikstils im Jahre 2008? Die Antwort ist einfach: Natürlich nicht. Aber andererseits: Was braucht man denn schon? Musik bestimmt nicht. Aber den Luxus, einmal mit einer Zeitmaschine zu reisen, den sollte man sich schon leisten. THOMAS WINKLER
The Magnificent Brotherhood: dito (Magnificent Music/Toca Records) Live: 28. 3. NBI @ Kulturbrauerei, 12. 4. Radio Fritz Nacht der Talente im Admiralspalast