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Himmel voller Schlaglöcher

■ Ein Flug mit dem Doppeldecker durch die DDR-Geschichte und über Bremen

Darf ich gleich? Wissen Sie, ganz genau wie Bauklötze sehen die Häuserchen aus, und zwischendrin, durch ein Netz von Pfaden, kriechen Ameisen. O Mensch! Das muß ich schon sagen, Verzeihung. Wie alle, die fliegen. Wir also jetzt über Bremen hin und kreuz und her und quer, im knatternden Doppeldecker. Seine Freunde nennen ihn „An-2“, Familienname Antonov. Es ist der größte einmotorige Doppeldecker auf der ganzen Welt, er gehört der DDR-Luftfahrtfirma „Interflug„; und ringsum wehen, nach jähem Regen, Wolkenfetzen zum Trocknen, und Finger aus Licht streichen übers Blockland. Nun is‘ aber genug, ich greife auch vor, erst stehen wir also lange unten am Rollfeld und warten.

Alle Piloten sehen wie Piloten aus. Bernd Diehl ist ein unbedingt adretter Mann und wartet mit uns, feschblaue Schirmmütze in den Arm geklemmt. Bernd Diehl fliegt für die Interflug und ist spe

zialisiert auf das Flugsaurier

Geschlecht der Antonovs. Meist muß er, im wöchentlichen Turnus, die Reviere des Braunkohlentagebaus „befliegen“, wie er sagt; und dann kommt er auch schon ins Reden, und es zeigt sich: noch das geringste Flugzeug hat Geschichte, und dieses hat lauter DDR hinter sich und nichts als sie.

Seit 1947 hat die Sowjetunion Antonovs gebaut, als Traktoren des Luftraums sozusagen, Flugzeuge für alle Fälle und überhaupt nicht verwüstlich. Mit rund 180 km/h Reisegeschwindigkeit ist eine Antonov gerade langsam genug für beispielsweise Luftaufnahmen. Im DDR-Braunkohlentagebau hat man mit diesen Flugzeugen die alten „Markscheider“ ersetzt, die früher durchs Gelände gelaufen waren, um zu kontrollieren, ob sich die Zerstörung der Erdoberfläche auch in kontrollierbaren Grenzen hielte. War die diensthabende Antonov mal unpäßlich, mußte der ganze Tagebau warten, „so gefährlich war das“, sagt Herr Diehl.

Und erzählt, wie andere „mission flights“ dazukamen, Flüge für „großmaßstäbliche topografische Aufnahmen“, oder der „Agrarflug, wo wir dann Dünger

ausgebracht haben. War ja oft ein bißchen sehr viel, mit diesen Sprayern“, und dann, so ab '56, bei der „DDR -Lufthansa, die ja damals noch so hieß“, der Einsatz im Regionalverkehr. In den 70ern mußte das wieder eingestellt werden, Treibstoffmangel, hieß es, aber Herr Diehl weiß auch von vielen Entführungsversuchen, wo Leute, die in den Westen wollten, „dann aufgetaucht sind zum Teil mit Messern oder abgesägten Schrotflinten“.

Zur selben Zeit verfiel man auf die Idee, die Luftbild -Dienstleistung zu exportieren, allein „es dauerte“, sagt Bernd Diehl, „und dann waren schon die anderen Anbieter billiger, schneller, besser“. Aber jetzt, sagt er und tut den wundervollen Ausspruch: „jetzt, nach der Einleitung der neuen politischen Lage“, da sind wieder Rundflüge möglich. Neulich sind sie ein bißchen gekurvt über irgendeinem „Heringsdorf auf Usedom, und die Leute haben geheult vor Freude“. Aber sonst weiß er, Bernd Diehl, auch nicht weiter, er wird, je nun, „die Maschine in Bewegung halten“, und sagt das wie ein verkrachter Baron über sein Rennpferd.

Erst mal ist die An-2 auf zweimonatiger Tingeltournee durch

die BRD. Und rollt nun heran, mählich und mit Getöse. Wir steigen ein, draußen schmeißt einer den Propeller an, worauf die Maschine eine mächtige Rauchwolke auspufft, und dann geht alles sehr schnell. Flugs, wie man sagt, sind wir oben, die An-2 ist sehr sparsam im Startbahnverbrauch und könnte „im Grund“, bemerkt einer, „auch quer starten“. Wir aber holpern schon dahin, der Himmel ist in Wahrheit voller Schlaglöcher, und von der altertümlichen Kabine her, wo die Piloten sitzen und andauernd Hebel umlegen und mit den Füßen Pedale treten, von dorther hört man Schmatzen, Pfeifen und Jammern, übertönt von malmerischem Geknirsche und jauligem Geheul, und dann, endlich, haben wir Reisehöhe und Abstand und sehen, da unten, unglaublich, unseresgleichen. Manfred Dworscha

Wer mag, kann heute oder morgen, Donnerstag, jeweils von 10.00 bis 20.00 an einem Rundflug über Bremen teilnehmen. Die Flüge finden stündlich statt und dauern 20 - 30 Minuten. Die „Interflug“ macht das zum Selbstkostenpreis von 89 Mark. Anmeldung unter Tel. 5595-412.

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