: High Noon am Abend
Carl Lewis gewinnt den „Supersprint“ gegen Ben Johnson ■ PRESS-SCHLAG
Was wäre der Sport ohne seine großen Duelle. Muhammad Ali und Joe Frazier, Ivan Lendl und John McEnroe, Kilius/Bäumler und Belousova/Protopopov, Real Madrid und FC Barcelona, VfL Bochum und Waldhof Mannheim. Die Menschen fiebern, wenn die 37. Inkarnation von Gary Cooper, der makellos reine Sportsmann Harald Schmid, einsam und allein dem Erzbösewicht der hohen Hürde, Edwin Moses, gegenübertritt, dem schwarzen Mann, der sogar dunkle Macht über das Zielfoto besitzt, so daß er, wie vor Jahresfrist in Rom, auch dann gewinnt, wenn er eigentlich langsamer ist.
Solche Zweikämpfe nach archaischem Muster sind es, die das Volk ins Stadion oder, viel wichtiger, vor den Fernsehschirm locken, auf daß notleidende Unternehmen ihre Produkte wirkungsvoll ins Bild setzen können. Und nachdem die Rivalität zwischen Navratilova und Graf endgültig entschieden ist, Boris Becker bereits Rost angesetzt hat, die Zehnkämpfer Hingsen und Thompson in den westfälischen Bergen ihre großen Kämpfe von einst nachstellen und wie der heimgekehrte Odysseus, höchstens noch ihren Hund hinter dem Ofen hervorlocken können, heißt das Duell des Olympiajahres eindeutig Carl Lewis - Ben Johnson.
Seit Johnson, das kanadische Muskelpaket, dessen Oberarmmuskeln so aussehen, als habe er sich aus Versehen in einen Kälberstall verirrt, bei der Weltmeisterschaft in Rom seinem Rivalen Lewis über 100 Meter zu einem neuen Weltrekord davongerannt war, sind Wettläufe der beiden schnellsten Sprinter Mangelware geworden. Immer hat einer ein Zipperlein, entdeckt plötzlich seine Vorliebe für die 200 m oder läßt die geforderte Gage ins Unermeßliche schnellen. So auch in Zürich, aber da wurde sie gezahlt. Publicitygierige Sponsoren ermöglichten es, daß jeder der beiden statt der üblichen 40.000 Dollar 350.000 erhielt. Sieger Lewis kam damit auf einen Stundenlohn von rund 127 Millionen Dollar.
Vor dem Rennen hatte sich der smarte Glamourboy Lewis wie stets als der Souveränere erwiesen. Zwar wirft er seinem Konkurrenten hin und wieder Doping vor, ist aber sonst stets des Lobes voll. „Ben ist ein großartiger Sprinter und ich muß mein Bestes geben, um ihn zu besiegen.“ Der biedere, aus ärmsten Verhältnissen stammende Johnson hingegen sagt nur etwas, wenn er wütend ist, und das hört sich entsprechend an: „Lewis ist ein Scheißkerl. Ich will ihn in Zürich so deutlich schlagen, daß er nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist. Das nutze ich dann aus, um in Seoul Gold zu holen, und dann ist Lewis erledigt.“
Dem selbstproduzierten Druck war Johnson nicht gewachsen. Lewis gab sein Bestes, lief 9,93 Sekunden, hüpfte danach herum wie ein Eichhörnchen und ließ sich mit verklärtem Blick minutenlang von den 25.000 im Letzigrund-Stadion feiern. Johnson wurde hinter Calvin Smith (USA/9,97) mit 10,0 Sek. nur Dritter. Nach dem psychologisch hochwichtigen Triumph erklärte sich Lewis flugs zum Favoriten für Seoul und ließ es sich nicht nehmen, den Verlierer des Abends ein bißchen zu piesacken: „Worte bedeuten nichts, nur die Taten auf der Laufbahn zählen.“
Matti
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