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Hier geht's der PDS um die Wurst

Im Ostberliner Wahlkreis Friedrichshain/Lichtenberg kämpfen die Wirtschaftswissenschaftlerin Christa Luft (PDS) und der Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) um das Direktmandat für den Bundestag  ■ Von Bascha Mika

Drei Farben Rot in Ostberlin. Hellrot glänzt die Bluse von Frau Luft, knallrot leuchtet Herrn Krügers Jackett, das Publikum sieht dunkelrot vor Wut. „So ein Unsinn, den man sich hier anhören muß!“ – „Mensch, dann geh doch nach Haus!“ – „Quatschen Se doch nich so dumm rum!“ – „Ruhe dahinten, lassen Sie die Kandidaten ausreden!“

Der Kulturverein Lichtenberg hat zum Wahlkampf geladen. Die Direktkandidaten des Wahlkreises Friedrichshain/Lichtenberg dürfen die Nähe zum Bürger proben. Der Saal ist klein, mit hundert Menschen vollgestopft, einige sitzen, der größte Teil steht. Es ist warm, auf den ersten Blick fast gemütlich.

Zwischenrufe, Feixen, kurze Pöbeleien unter den ZuhörerInnen – hier sind eindeutig zwei verschiedene Fanclubs im Raum. Eine Stimmung, als hätten sich die Anhänger von gegnerischen Fußballvereinen in derselben Kurve getroffen. Nur heißen die Vereine PDS und SPD. Beide haben für heute ihre Mitglieder mobilisiert, als würde die Bundestagswahl an diesem Abend entschieden. Und beide Seiten sind aggressiv: die einen, weil sie das Spiel um die Macht vorerst verloren, die anderen, weil sie es noch immer nicht gewonnen haben.

Vier KandidatInnen sitzen vorne am improvisierten Podium. Zwei zuviel. Die Vertreter von FDP und Bündnis 90 sind mehr Zuschauer als Mitspieler, der CDU-Mann ist erst gar nicht erschienen. Denn hier wird ein Duell ausgetragen. Zwischen der Mittfünfzigerin, die aufgeräumt wirkt bis in die letzte Locke, und dem Mittdreißiger, der mehr Haare am Kinn hat als auf dem Kopf. Diese beiden konkurrieren in Friedrichshain/Lichtenberg ums Direktmandat. Holt es nicht Christa Luft (PDS), dann holt es Thomas Krüger (SPD). Sie über ihn: „Der junge Mann nimmt den Mund ganz schön voll.“ Er über sie: „Sie hat den Stallgeruch der alten SED.“

Stimme aus dem Publikum: „Frau Luft, Herr Krüger, würden Sie sich zutrauen, die Arbeitslosigkeit auf Null zu bringen?“ Die Wirtschaftswissenschaftlerin zögert keine Sekunde. „Erwerbsarbeit muß für alle zugänglich sein, die Arbeit wollen“, sagt sie mit Oberlehrerinnenstimme und guckt streng aus blauen Augen, daß auch jeder im Saal sieht, wie ernst sie es meint. „Aber ich habe keine perfekten Lösungen und kein Rezept, die Massenarbeitslosigkeit in kurzer Zeit abzubauen. Was wir brauchen ist Strukturwandel und Arbeitszeitverkürzung.“ Krüger mustert seine Nebenbuhlerin vorsichtig von der Seite. Die eine Hälfte des Publikums klatscht.

Wenn's um Inhalte ginge, brauchte der Jugendsenator jetzt nur zu nicken. Tut er aber nicht. Denn hier geht es ums Profil. Also holt Krüger tief Atem, um dann wortreich – das gleiche wie seine Vorrednerin zu sagen. Damit es weniger auffällt, gibt er seiner Stimme diesen betont kräftigen Ton, der Überzeugung markiert, und unterstützt sich mit jenen typischen Gesten, die ein Politiker im Rhetorikkurs lernt. Langsam wandert Christa Lufts Blick von der gegnerischen Schuhspitze bis zur Krawatte. Die andere Hälfte des Publikums klatscht.

Frau Luft und Herr Krüger haben ein Problem. Nichts täten sie lieber, als sich politisch voneinander abzugrenzen. Das erwartet ihre jeweilige Klientel. Doch letztlich ist die spezifische Ostbefindlichkeit ihr gemeinsamer Nenner. Wer sie venachlässigt, hat schon verloren. Also fordert Krüger, die „Pauschaldiskriminierung von Ostdeutschen zu beenden“, während Luft „die Benachteiligung und Ausgrenzung Ostdeutscher“ stoppen will. Wo Luft die „ersatzlose Streichung des Paragraphen 218“ einklagt, plädiert Krüger „für die Selbstbestimmung der Frau“ beim Schwangerschaftsabbruch. Und auch wenn es um Arbeitszeitverkürzung und Lohnausgleich geht, sind sie schon wieder der gleichen Ansicht.

„Die PDS besetzt eben sozialdemokratische Themen“, sagt Thomas Krüger hilflos, „deswegen gibt es tatsächlich kaum Unterschiede.“ Christa Luft sieht es ähnlich düster: „Es gibt Positionen, da könnten wir gut in eine Kerbe hauen.“ Was unter anderem daran liegt, daß Krüger zum linken Flügel der SPD zählt und Luft eine (wirtschafts)liberale PDSlerin ist. Da hocken die beiden nun, tragen ihre roten Klamotten und beäugen sich schräg von der Seite. Immer dann, wenn der andere nicht guckt.

In der Gunst der WählerInnen liegen sie nach letzten Umfragen relativ dicht beieinander. Krüger bei 28, Luft bei 32 Prozent der Stimmen. Bei der Europawahl waren die Sozialdemokraten mit 23 Prozent hinter den Sozialisten mit 43 Prozent noch hoffnungslos im Hintertreffen. „Ich hab' keine Erklärung, warum die so aufgeholt haben“, sagt Christa Luft ärgerlich. Krüger frohlockt.

Doch die Gegner sind stark. Lichtenberg mit seiner ehemaligen Stasi-Zentrale ist eine PDS-Hochburg. Allein im Wahlkreis Friedrichshain/Lichtenberg hat die Partei 6.500 Mitglieder. Die SPD dagegen kümmerliche 500 (siehe Kasten).

Aus dem Saal tönt ein lautes Männerorgan: „Frau Luft, Sie sind eine Heuchlerin.“ Die Professorin auf dem Podium zuckt nur leicht zusammen. Die Stimme fährt fort: „Wie können Sie auf Ihr Wahlplakat schreiben: Veränderung beginnt mit Opposition. Sie waren Jahrzehnte in der SED, die hat nie Opposition zugelassen.“ Christa Luft hat sich wieder gefangen. „Veränderung beginnt auf jeden Fall nicht mit Anpassung“, kontert sie, ihr auf- und niederfahrender Arm zerstückelt die Luft. „Ich gehöre zu denen, die sich als lernfähig erwiesen haben!“ Doch der Satz kommt zu schnell, zu atemlos, um gelassen zu wirken. „Oh, oh, oh“, stöhnt es von den hinteren Rängen.

Ungerührt stürzt sich Luft daraufhin auf Krüger: „Die SPD hingegen versucht noch nicht einmal Opposition gegen die CDU zu machen.“ Sofort schlägt Krüger zurück: „Wir wollen Verantwortung übernehmen, die PDS will nur in der Opposition bleiben.“ Wieder die Stimme aus dem Saal: „In der Opposition, Frau Luft, läßt sich gut quatschen.“ Luft beißt sich auf die Lippen, das Publikum lacht, Krüger grinst. Doch nicht lange. „Sie kriegen vielleicht mein letztes Hemd, Herr Krüger“, läßt sich jemand von der Theke vernehmen, „aber nicht meine Stimme.“ Johlen, Klatschen. 2:0 fürs Publikum.

Um Aufmerksamkeit in seinem Wahlkreis zu erregen, hat sich Jugendsenator Krüger nackt auf einem Wahlplakat ablichten lassen. Aufgefallen ist er damit zweifellos, sogar bundesweit, hat aber auch jede Menge Ablehnung und Spott geerntet. Wie hier im Kulturverein. „Ich bin ja nicht zart besaitet“, murmelt eine ältere Dame in adrettem Schwarz-Weiß, „aber ein Politiker als Nackedei ist doch einfach widerlich.“

Im Wahlkampf setzt Krüger auf die 16 Prozent der WählerInnen im Kreis, die sich laut Umfrage noch nicht entschieden haben. Die versucht er mit vielen kleinen Aktionen für sich zu gewinnen. Motto: Jeder soll den Direktkandidaten Krüger wenigstens einmal gesehen haben. Doch die Reaktion ist oft genug skeptisch. „Die SPD war nach der Wende für mich die einzige vernünftige Partei“, erzählt eine Lichtenbergerin, „aber jetzt eiert sie nur noch rum.“

Die PDS-Strategie zielt dagegen auf Mobilisierung in den eigenen Reihen. Also bietet Christa Luft jede Menge Veranstaltungen an, bei denen sich die Sympathisanten sammeln. Doch auch hier kritische Stimmen. „Die PDS“, sagt ein Lichtenberger, „greift die Probleme auf, die wir alle gerne gelöst hätten. Nur die richtigen Vorschläge hat sie eben auch nicht.“

Unentschieden. Der Ausgang des Spiels ist noch völlig offen.

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