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Archiv-Artikel

urdrüs wahre kolumne Heute hü, morgen hott!

Natürlich wollten die Christival-Organisatoren ihre Zielgruppe in Bremen für ein Leben in Ungeilheit und Kleinkariertheit rüsten. Aber der liebe Gott als Schöpfer von Lust und Brunft, er lässt sich nicht ins Handwerk pfuschen, weshalb ich denn auch den Empörungsrausch einiger Atheisten ziemlich überzogen fand. Und mich am Abend bestätigt sah, als einige junge Jesus-Fans in ein Waller Wirtshaus einfielen und eifrig Biere tranken, der Musikbox sexistische Songs entlockten, sich wechselseitig die Zunge in den Hals hingen und im schmalen Gang zur Toilette sogar verzückt primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale abgriffen. Halleluja, Herr – du und deine Gaben sind stärker als die sexuelle Trockenbeerenauslese selbst ernannter Hirten!

Der in meiner Heimatstand Rinteln immer noch existierende Wackerstein mit der Nazi-Parole „Klagt nicht, kämpft“ ist endlich wieder mal Gegenstand öffentlicher Erörterung geworden, doch gegen eine Umfunktionierung des Monstrums zum Übungsareal für Freeclimber ist jetzt von höchster Stelle entschieden worden: In einer Presseerklärung erklärt der „amtierende Reichskanzler“ Norbert Rudolf Schittke aus Bad Salzdetfurth (Provinz Hannover) den Gedenkstein für gerettet durch seine „intensive Aufklärungsinformation“. Mit Schittke zum Endsieg – erhebender Gedanke, der gern ergänzend eingemeißelt werden darf.

Dummstolze Helden hat die Bundespolizei überreichlich in ihren Reihen. Offenbar ohne jedes Schamgefühl bekennt sich der Grenzer-Club jetzt dazu, „die Schleusung von drei irakischen Männern“ auf der Insel Fehmarn in Richtung Dänemark verhindert zu haben. War nicht einst Reisefreiheit das hohe Gut, für das man die DDR geschliffen hat? Und gehört sie nicht zur Politik mit dem menschlichen Antlitz, wie sie einst von den großen Zottelbärten wie Wolfgang Thierse gefordert wurde? Heute hü, morgen hott!

Schön, dass jetzt überall darüber gepoltert wird, wie ausgerechnet Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander das liberale Menschenrecht am intensivsten strapaziert, Mutter Erde per 329-PS-Dienstwagen zu peinigen. Wenigstens vor Muttertag aber sollte Hans-Heinrich zur Besinnung kommen, Würfelzucker in den Tank werfen und das Ungeheuer stilllegen. Danach mag er dann zu Fuß und per Rad nach Haselünne, Uelzen oder Verden fahren, um in kurzen Hosen Mama-Bäume zu pflanzen und am Komasaufen teilzunehmen.

Unweit des Weser-Radwanderwegs will dieser Tage ein mit reichlich Fotogerät munitionierter Radfahrer wissen, „wo denn hier ehemalige Hinrichtungsstätten zu finden sind.“ Als heimatkundlich bewanderter Lokalpatriot gebe ich gern und umfassend Auskunft, frage dann aber doch noch einmal zum Motiv des Fremden nach. Der daraufhin erläutert, sich diese Bilder gelegentlich anzuschauen, um daran zu erkennen, dass sich die Welt inzwischen doch ein klein wenig zum Guten gewandelt habe. Man weiß sich mit ihm gern darin einig – doch da fällt der Blick auf eine Gruppe völlig überdimensionierter Motorräder gleich neben dem kostenlosen Parkplatz für gebieterisch große Mobilheime und wir wissen: „Die Lust an der Zerstörung ist eine schöpferische Kraft.“ Es gibt noch viel zu tun, meint dazu ULRICH „Adorno“ REINEKING

ULRICH REINEKING, Journalist und Kabarettist, nennt frühere Hinrichtungsstätten keine bevorzugten Ausflugsziele.