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Herzlichkeit der hipperen Art

■ 5 000 Zuschauer waren bei den Europameisterschaften der Fahrradkuriere auf der Suche nach dem gemeinsamen Geist der fixen Boten Von Torsten Schlemm

Die Meinungen sind höchst unterschiedlich. „Das sind alles Verrückte, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten“, ist häufig zu hören, wenn es um Fahrradkuriere geht. Anerkennung für die vermeintlichen 25-Gang-Furien ist selten, nur die wenigsten registrieren, daß „die Irren dauernd ihr Leben aufs Spiel setzen“.

Messenger, wie sich die Pedal-Profis selber nennen, sind natürlich ganz anderer Ansicht – sie sehen sich als die eigentlichen Herrscher des urbanen Betondschungels, die einen Hauch von Freiheit in die grauen Büros der Großstädte tragen. Messenger Lifestyle ist das Zauberwort mit dem sich die Männer und Frauen auf den schnellen Bikes immer wieder selbst definieren. Am vergangenen Pfingstwochenende kamen über 600 Fahrradkuriere in der City Nord zusammen, um ihre Europameisterschaften auszutragen.

Aus den Boxen dröhnt Rap-Musik, die alsbald von House- oder Soul-Klängen abgelöst wird. Paul aus Rotterdam findet es „cool“ hier, „nur das Wetter könnte besser sein“. Das denken auch die Inhaber der unvermeidlichen Merchandising- und Verpflegungsstände, die man auch schon bei ähnlich hippen Events gesehen hat. Immer wieder werden die Bikes verglichen, auch schon einmal interessante Sättel fotografiert. Technik fasziniert – wie auch bei Automobilrennsport-Veranstaltungen. Wo ist er denn nun, dieser spezielle Messenger Lifestyle?

„Man kann das Ganze mit dem Kopf analysieren“, beschreibt Andreas Pesen Gauer, einer der Initiatoren dieser EM, den untauglichen Versuch, den Sinn des Pesens zu ergründen, „man kann aber auch mit dem Herzen rangehen.“ So viele Kuriere „wie noch nie auf diesem Planeten“ hätten sich gemeinsam getroffen und, behauptet der amtierende Sprint-Weltmeister, „das Wichtigste dabei ist das Gefühl und die Herzlichkeit der Teilnehmer untereinander.“

Das findet auch Thomas aus Hamburg, aber „man sollte auch den Sport nicht vergessen“. Die Wettkämpfe, zu denen fast 5 000 Zuschauer trotz Regenschauern und wenig heimeligen Temperaturen gekommen waren, stünden schon auf recht hohem Niveau, „man muß gute Leistungen bringen, um mithalten zu können.“ Also doch nur eine besonders angesagte und leicht kommerzialisierbare Form der Körperertüchtigung? Der von einigen Akteuren an den Tag gelegte persönliche Ehrgeiz stand eigentlich im Widerspruch zum Spirit der Kuriere, dem Geist der Gemeinsamkeit. Aber vielleicht kann Otto Normalradler das auch gar nicht verstehen.

Die SiegerInnen: Rasmus Dige/Kopenhagen (Sprint Männer) und Margo Bargheer/Göttingen (Sprint Frauen). Die gestrigen Ergebnisse vom Hochsprung, Lastenrennen, dem Einzel der Männer und Frauen sowie die Mannschaftswertung waren bis zum Redaktionsschluß noch nicht übermittelt worden

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