: Herz der Heiterkeit
Tom Robbins erzählt in seinem neuen Roman „Villa Incognito“ die Geschichte von drei tragikomischen Vietnam-Veteranen, die es nach Laos verschlagen hat
VON SUSANNE MESSMER
Es ist vielleicht keine schlechte Idee, eine Buchkritik mal mit einer Art Lesehilfe einzuleiten: Geschätzter Leser. Dieses Buch gestaltet sich am Anfang sehr albern. Es beginnt mit der Geschichte eines Tieres, das über einen unbotmäßigen Sexualtrieb verfügt – mit einer Geschichte also, die keinen Sinn hat. Der Grund, warum man dieses Buch trotzdem lesen sollte, erschließt sich erst ab Seite 55, also im zweiten Teil. Erst dann entfaltet sich das Talent des Kultautors Tom Robbins, erst dann beginnen seine Geschichten in gewohnter Weise zu explodieren. Man weiß wieder, warum man die vitale Einbildungskraft dieses Autors so schätzt und warum man auch seinen neuen Roman lesen sollte, „Villa Incognito“.
Um es dir, lieber Leser, möglich zu machen, direkt bei den relevanten Geschichten einzusteigen, sei dieser lästige erste Teil kurz zusammengefasst. Erzählt wird eine Art Fabel vom Tanuki, einem so genannten Marderhund, der dem Waschbären ähnelt, um den sich in Japan eine Menge Märchen ranken, der aber nicht nur in Asien vorkommt, sondern auch in Brandenburg und Teilen Mecklenburg-Vorpommerns. In Wirklichkeit sind Marderhunde Allesfresser und monogam und bleiben ein Leben lang zusammen.
Nicht so der Tanuki, den sich Tom Robbins ausgedacht hat. Dieser Tanuki bildet sich ein, aus der Welt der „animalischen Ahnen“ gekommen zu sein, ernährt sich hauptsächlich von Reisschnaps und schwängert gerne diverse Menschenmädchen. Die einzige Bedeutung, die dieser Tanuki für den Roman hat, ist die: Eine der Hauptfiguren, die in Laos lebende japanische Zirkusartistin Lisa, stammt von ihm ab, zähmt deshalb Tanukis und verschwindet am Ende in die Wälder, wo diese wohnen. Etwas Rechercheaufwand erbringt außerdem: Der Marderhund ist ein so genanntes Neozoon, ein Neutier. Im 19. Jahrhundert wurde er wegen seines Pelzes von Asien nach Russland verschleppt und verbreitete sich dann selbsttätig westwärts, nach Finnland, Polen und so weiter.
Man kann es sich also an den fünf Fingern abzählen, dass es um Amerika gehen wird, das Land, so Robbins, das „seit gerade mal zweihundertfünfundzwanzig Jahren existiert“ – und das viel ältere wie Vietnam nur belächeln können. Und schon ist sie hergestellt, die wacklige Brücke zum Plot des Romans.
Denn im Grunde ist „Villa Incognito“ kein albernes Buch über blöde Tiere, sondern ein sehr befreiendes über ein ernstes und noch immer oft gemiedenes Thema: Es geht um den Vietnamkrieg und seine Veteranen, um Traumata und Verdrängungsleistungen, um Aussteigerszenen und die zu Recht geliebte Gegenkultur Amerikas. In Form einer bizarren Verdrehung von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ behandelt Robbins seine Lieblingsthemen wie Liebe, Drogen und Rock ’n’ Roll, die man zwar längst kennt, an denen man sich aber in Zeiten wie diesen wieder festkrallt, jetzt, nach dem 11. 9., dem Tag, an dem „Villa Incognito“ endet.
Erzählt wird die Geschichte dreier Soldaten, die allerdings schon vor dem Ende des Vietnamkriegs ziemlich weit von der feisten Selbstzufriedenheit ihres Heimatlandes abgekommen sind. Das Versagen der Weißen, deren Kultur, Disziplin und Moral in der Extremsituation zerbricht, findet nicht mehr statt, es ist längst vollzogen. Und weil alle darüber Bescheid wissen, weil die Soldaten begabte Kinder mit verkrachten Biografien sind, weil sie sich schon immer lieber über die philosophischen Hintergründe des Animismus und die Käsefüße des Jesus Christus unterhielten, als Krieg zu spielen, scheint ihr persönliches Herz der Finsternis eher heiter. Das Schloss, das sie sich nach ihrer Desertion bauen, ihre Version von Zufluchtsort, an dem sich schon Rambo versuchte und Colonel Kurtz in „Apokalypse Now“, ist zu einer Villa Kunterbunt mit angeschlossenem Zirkus degeneriert. Und die Hausherren verticken zwar Drogen und Edelsteine, werden aber kaum von ihren schönen asiatischen Konkubinen ernst genommen.
Auch wenn Tom Robbins’ schnoddriger Ton und sein Hang zu platten Kalauern manchmal ermüden: Es sind diese tragikomischen postkolonialen Helden, die man im Laufe des Romans lieb gewinnt und derentwegen es sich lohnt, dieses Buch zu lesen. Eine Figur wie Dern V. Foley zum Beispiel: wie er sich von Minijobs ernährt, das Priesterstudium entdeckt, wegen Drogenbesitzes verhaftet und freigesprochen wird, weil er sich nach Vietnam meldet. Oder Major Mars Albert Stubblefield: wie er schon mit sechzehn Anthropologie und Philosophie studiert, sich an der Sorbonne auf die Analyse von Volkssagen spezialisiert, sich nur aus einer Laune heraus bei der Air Force bewirbt und heute seine Zeit damit verbringt, den Dienern und Konkubinen im lila Seidenanzug erhellende Vorträge über die Präsenz des Absoluten zu halten.
Warum, fragt man sich da, warum gibt es einen wie diesen nicht wirklich? Warum packt man nach der Lektüre nicht sofort seine Koffer, fliegt nach Vietnam und lässt sich ihre Geschichten direkt erzählen, von den genau 1966 vermissten Veteranen selbst, die es laut Tom Robbins noch immer gibt?
Tom Robbins: „Villa Incognito“. Aus dem Amerikanischen von Pociao de Hollanda und Roberto de Hollana. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 278 Seiten, 14,90 Euro