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Heringsfang als Tierschutz

■ Matjesanstich: Die „Ehrenwerte Gesellschaft“ schützt den Fisch durch Verschlingen

„Schmeckt's?“ „Ist der fünfte!“, so bringt ein Bremer seine Begeisterung für den frischen Matjes auf den Punkt. Mit Blasmusik und viel „Echt Vegesacker Matjesschluck“, dem norddeutschen Kräuterschnaps schlechthin, wurde gestern vormittag die Matjessaison auf dem Bremer Grasmarkt eröffnet. Rund 500 BremerInnen tummelten sich neben dem Rathaus, um pünktlich um 11 den Matjesanstich zu sehen. Die jungen holländischen Heringe kamen aus Vegesack – per Senatsbarkasse.

Nicht mehr ganz so frisch wie der Fisch in den Fässern waren die sieben offiziellen Vertreter für den Matjesanstich, die Herren von der Matjesgilde „Ehrenwerte Gesellschaft“. Eine Gesellschaft, die gegründet wurde, „um den Hering und die Meere zu fördern und vor Schaden zu bewahren“, wie die Fischwirtschaft erklärt. Und den Hering schützt man offensichtlich am besten, indem man ihn fängt und ißt.

Das bunte Treiben der Fischfans vor dem Dom erlebte seinen Höhepunkt, als Dieck Langstraat den Matjes auf seine Qualität prüft. Der Niederländer kann auf 25 Jahre Erfahrung in der Fischindustrie zurückblicken: „Die Qualität eines Matjes erkenne ich am Glanz, an der Farbe und nicht zuletzt beim Probieren. Ausschlaggebend für den Geschmack ist der Salzgehalt.“ Dieck Langstraat läßt es sich nicht nehmen, jedes Jahr persönlich nach Bremen zu kommen, um das Fest zu eröffnen. Wenige Tage zuvor haben in Schevenningen die Holländer ihren ersten Matjes gefeiert.

Heute werden hundert Millionen Matjesfilets pro Jahr allein in Deutschland genossen und „wir rechnen damit, daß der Fischverbrauch weiterhin ansteigt“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes des Deutschen Fischeinzelhandels Peter Koch-Bodes. Für das hauptsächliche ältere Publikum des Heringsanstichs steht jedenfalls fest: „Ich esse in erster Linie Fisch. Den kann man wenigsten noch genießen - fragt sich nur, wie lange.“ Schweinepest und Rinderwahnsinn verführen nicht gerade zu ausgiebigem Fleischkonsum: „Wir essen überhaupt kein Fleisch mehr.“

0Ganz anderer Meinung ist da Peter Koch-Bodes: „Fisch ist keine Alternative, sondern gehört neben Fleisch zu den gesundesten Lebensmitteln.“ Der Fischhändler aus Bremen stand vor zehn Jahren zum ersten Mal auf dem Domshof und versteigerte für einen guten Zweck das erste Faß holländischen Matjes. So auch diesmal: Der Erlös ging an den Kinderspielkreis des St.Petri-Doms.

Der Matjes hat in Bremen Tradition: Bereits im 15. Jahrhundert gab es in Vegesack Stapelflächen für Matjes. Bremen handelte seit dem 15. Jahrhundert ausgiebig Hering mit Holland. Deutschland hat heute allerdings keinen eigenen Heringsfang mehr. Heute fischen für den deutschen Heringshunger Holländer, Dänen und Norweger die Meere leer. Fränze Stucky

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