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Herbststreiks für die britische 35-Stunden-Woche?

Die Vorbereitungen sind bereits angelaufen / Geplant werden die Arbeitskämpfe in besonders arbeitsteiligen Großkonzernen der Metallindustrie  ■  Aus London Jerry Sommer

Nach den teilweise durchaus erfolgreichen Sommerstreiks für Lohnerhöhungen bahnt sich nun außer weiteren Lohnauseinandersetzungen auch ein Arbeitskampf in der Metallindustrie um die Verkürzung der Arbeitszeit an. Für die zwei Millionen Beschäftigten dieses Industriezweiges fordern die vierzehn in der „Confederation of Shipbuilding and Engineering Unions“ (CSEU) zusammengeschlossenen britischen Gewerkschaften als wichtigste von acht Forderungen die 35-Stunden-Woche. Zuletzt ist 1979 nach einem zweiwöchigen Streik die Arbeitszeit für ArbeiterInnen in der britischen Metallindustrie von 41 auf 39 Wochenstunden gesenkt worden. Die Angestellten haben seit zwanzig Jahren dieselbe Arbeitszeit von 37,5 Wochenstunden.

Am Rande der Jahreskonferenz des gewerkschaftlichen Dachverbandes TUC berieten letzte Woche betriebliche Vertrauensleute und Gewerkschaftsführer der Metallindustrie, wie der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche Nachdruck verliehen werden kann. Bis zum Ende dieser Woche will die CSEU Großbetriebe festgelegt haben, in denen in der zweiten Hälfte des Septembers Urabstimmungen durchgeführt werden sollen. Im Oktober ist mit dem Beginn unbefristeter Streiks in diesen Werken zu rechnen.

Die Gewerkschaften hatten schon im Juni elf der größten und profitabelsten Konzerne als mögliche Streikobjekte ausgesucht. Jetzt geht es darum, einzelne Großbetriebe auszuwählen, die innerhalb der arbeitsteiligen Konzerne von zentraler Bedeutung sind. Es ist schon durchgesickert, daß ein Rolls-Royce-Betrieb in der Nähe von Glasgow mit 2.000 Beschäftigten und ein Betrieb von British Aerospace, dem zweitgrößten Metallkonzern des Landes in der Nähe von Bristol, darunter sein werden. Mit minimalem Streikaufwand man rechnet mit nicht mehr als 30.000 zum Streik Aufgerufenen in sieben Werken - hoffen die Gewerkschaften maximalen ökonomischen Druck ausüben zu können.

Die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Metallunternehmern über die 35-Stunden-Wochen-Forderung waren im April ergebnislos abgebrochen worden. Die Gewerkschaften hatten damals als Kompromiß eine stufenweise Reduzierung um nur zwei statt der ursprünglich geforderten vier Arbeitsstunden sowie Flexibilität bei der Arbeitszeit angeboten. Die Unternehmer lehnten jedoch ab, weil sie meinten, daß allein die Betriebe über den Zeitpunkt der Einführung von Arbeitszeitverkürzungen zu entscheiden hätten. Auch bestanden sie auf einer „kostenneutralen“ Lösung und mochten Angestellten generell keine Arbeitszeitverkürzung zugestehen.

Die Gewerkschaften haben daraufhin ihre Kompromißvorschläge zurückgezogen und sind zu ihren ursprünglichen acht Forderungen zurückgekehrt. Außer der 35-Stunden-Woche ohne Lohnverluste werden auch „erhebliche Lohnerhöhungen“, Begrenzungen von Überstunden und „mehr Urlaubstage“ gefordert. Die Arbeitszeitverkürzung steht jedoch obenan, zumal die Löhne ohnehin vor allem auf Betriebsebene vereinbart werden. Auch bei den Automobilbetrieben Vauxhall und Ford, die gesonderte Tarifverhandlungen führen, haben die Gewerkschaften die 35-Stunden-Woche an die Spitze ihrer Forderungen gestellt.

Mitte August begannen die vierzehn Einzelgewerkschaften nach monatelangem Zögern mit einer Kampagne zur Mobilisierung ihrer Mitglieder, auch die größte, die „Amalgenated Engineering Union“ (AEU), die zum rechten Spektrum des TUC gehört. Seit Mitte August haben mehrere Großveranstaltungen, zum Teil in Fußballstadien, stattgefunden. Gleichzeitig begannen die GewerkschafterInnen in den Metallbetrieben, einen Stundenlohn pro Woche für die Streikkasse zu spenden.

Die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche begründen die britischen Gewerkschaften vor allem mit den in den letzten Jahren erwirtschafteten Produktivitäts- und Gewinnsteigerungen. Sie weisen ebenfalls auf den europäischen Trend zur Arbeitszeitverkürzung hin. Bill Jordan, der Vorsitzende der Amalganeted Engineering Union, erklärte auf einer Kundgebung: „Es geht um eine inflationssichere Verbesserung unserer Lebensqualität. Wir haben eine vier- oder viereinhalb-Tage-Woche verdient.“

Ein weiteres Argument ist der rasante Arbeitsplatzabbau der letzten sechs Jahre parallel zur Produktivitätssteigerung: „Wir glauben“, heißt es in einem Flugblatt der CSEU, „daß Fortschritte in Richtung einer 35-Stunden-Woche eine entscheidende Rolle haben, um diesen Trend zu stoppen. Da wir auch eine historisch einmalige Höhe der Überstunden (3,5 Stunden im Durchschnitt pro Woche) zu verzeichnen haben, ist es ganz klar, daß Arbeitsplatzverkürzung potentiell in großem Ausmaß Arbeitsplätze schaffen kann.“

Die britischen Metallunternehmer sehen das anders. Sie behaupten, daß die 35-Stunden-Woche eine zwanzigprozentige Kostensteigerung bedeuten würde. Damit würden Arbeitsplätze gefährdet. Die Gewerkschaften nehmen das Argument nicht allzu ernst. Sie verweisen darauf, daß die Unternehmer schon immer Arbeitszeitverkürzungen für unbezahlbar erklärt hätten. Sie gaben letzte Woche bekannt, daß sich die Vorstandsvorsitzenden der Betriebe, die in der Führung des Metallunternehmer-Verbandes vertreten sind, 1988 Gehaltserhöhungen zwischen 18 und 65 Prozent genehmigt hätten. Ebenfalls argumentieren die britischen Gewerkschaften mit bundesdeutschen Erfahrungen: Dort seien seit 1984 durch die Reduzierung der Arbeitszeit in der Metallindustrie über 200.000 Arbeitsplätze gesichert worden. Anders als die IG Metall haben die britischen Metallgewerkschaften jedoch noch keine Rechnung aufgemacht, durch welche Form von Arbeitszeitverkürzung am besten Arbeitsplätze geschaffen werden können. Sie scheinen zu weitgehenden Zugeständnissen in Bezug auf die Flexibilisierungsforderungen der Unternehmer bereit. Ob eine 35-Stunden-Woche an vier oder an sieben Arbeitstagen abgeleistet wird, so ein Sprecher der AEU, soll allein in den einzelnen Betrieben entschieden werden.

So ist es im Moment schwer vorauszusagen, welche Dynamik die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche in Großbritannien entwickeln wird. Die Metallunternehmer warten ab und behaupten, daß für die Gewerkschaftsbasis Lohnerhöhungen und mehr Urlaub viel wichtigere Themen als Arbeitszeitverkürzung seien. Das kann durchaus richtig sein, weil die Inflationsrate gegenwärtig bei 8,3 Prozent liegt.

Die Regierung, aber auch die Labour-Opposition schweigen sich bisher aus. Die Führungen der Metallgewerkschaften, die keineswegs sonderlich streikfreundlich sind, mobilisieren zwar intensiver als sonst für die Auseinandersetzung. Die Erfolge in Lohnkämpfen haben ihr Selbstvertrauen ebenso wie das der Gewerkschaftsmitglieder sichtlich erhöht. Aber von einer angemessenen Vorbereitung zu einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung kann nicht die Rede sein. Offensichtlich hoffen sie, daß die Unternehmer noch rechtzeitig einlenken.

Doch damit ist wohl frühestens zu rechnen, wenn in den Urabstimmungen große Mehrheiten für Streik stimmen - oder die Streiks tatsächlich beginnen. Gegenwärtig sind weder Metallunternehmer noch Gewerkschaften zu neuen Verhandlungsangeboten bereit.

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