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Herbert Simmons: „Corner Boy“ (1957)

Auch Jake Adams ist viel zu früh erwachsen. Gerade mal 18 Jahre alt, hat er die Zeit der Bandenkriege längst hinter sich, wird von vielen Frauen geliebt, von vielen Kumpeln geschätzt und muss sich nicht mal anstrengen, um supercool zu sein. Im Mundwinkel hängt die Zigarette, am Handgelenk die goldene Longines und Markennamen droppen, als befände man sich in einem jener unglücksverheißenden Yuppie-Nightmars von Bret Easton Ellis der 90er. Das Leben spielt nachts und trägt die Namen von Bars und Diskos. Durch Drogengeschäfte, Billardwetten und Betrügen beim Würfeln ist Jake stolzer Besitzer eines Autos, eines Dynaflows. Wo sonst kann ein Schwarzer reich werden. Songtexte aus dem geliebten Autoradio verweben sich mit „Hey Mann“-Dialogen über Job, Frauen und so. Flirts beginnen mit Fachsimpeln über den Ton, jeah diesen starken Ton, von Miles oder Diz. „Die Weiber waren wie Straßenbahnen: war die eine weg, konnte man die nächste nehmen.“ Und trotzdem gibt es auch für Jake im schönen wüsten Gewimmel die eine große klare Lösung namens Amanta. Doch deren Vater ist Aufsteiger und Liebesverhinderer; infiziert vom Ehrgeiz der Weißen mag er keinen Jake. „Ihr Vater hatte ihr immer erzählt, was für Vorurteile Weiße hätten, aber ihr Vater war auch nicht ohne.“ Wie bei Raymond bricht irgendwann die große Tragödie in den Leichtsinn ein in Form einer verstorbenen Georgia. Er landet im Knast. Die große Liebe ist futsch, doch nicht das Selbstvertrauen. Auch das ein wichtiger Topos: Eine ungerechte Welt lässt es nicht zu, dass der schwarze Held sein eigenes Schicksal bestimmt, doch sein Inneres, ja, das kann er retten. Es klingt wie die bittere afroamerikanische Variante des Bildungsromans der Weimarer Klassik. Man findet sie noch im neuen Jahrtausend, im „Hurricane“-Film oder in Gaines späten Roman „Jeffersons Ehre“ über den stolzen Gang eines Unschuldigen zum elektrischen Stuhl.

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