: Hemmungslos
Rockballaden statt Kontroversen: die Manic Street Preachers im Docks ■ Von Felix Bayer
Oh je, was würde Richey jetzt dazu sagen?“ Nicht nur einmal äußerte Nicky Wire diesen Stoßseufzer, als der Gitarrist der Manic Street Preachers für die Weihnachtsausgabe des New Musical Express zu allen möglichen Themen des ausgehenden Jahres 1998 befragt wurde. Die Manic Street Preachers haben im Staate des britischen Pop die Rolle der Regierung zugewiesen bekommen, und Nicky Wire ist der Regierungssprecher.
Solche Persönlichkeiten, die zu allem eine Meinung haben und sie so zitierbar äußern, daß sich damit mehr Musikzeitschriften verkaufen lassen, gab es in Britannien schon oft, erinnert sei an Paul Weller oder Morissey. Aber eigentlich ist Nicky Wire ja nur so etwas wie der Stellvertreter in diesem Job – eben für Richey Edwards. Bevor Richey Edwards im Februar 1995 spurlos verschwand, war er die schillerndste Figur einer Band, die sich als walisische Außenseiter mit großen Plänen, großen Gesten und großen Sprüchen präsentierte. Wie viele Teenager mit einer selbstzerstörerischen Ader vor ihm ritzte sich Richey Edwards den Unterarm auf; er tat es aber vor einem Photographen und schrieb die Worte „4 Real“ mit seinem Blut. Richeys Rhythmusgitarre war zwar bei Konzerten nicht zu hören, aber er schrieb die meisten der slogantriefenden Texte der Band und designte die Cover. Er war depressiv, aber zugleich kämpferisch – Richey Edwards machte die Manics zu einer Band, die man nur lieben oder hassen konnte.
Heute gibt Richeys Abwesenheit den verbliebenen drei Manics die Entschuldigung für hemmungsloses Pathos. Daß das auf streichergetragenen Rockballaden wie „A Design For Life“ oder „If You Tolerate This, Your Children Will Be Next“ beeindruckend klingt, läßt sich schwer bestreiten. Aber das Kontroverse, das Herausfordernde an der Band ist mit Richey Edwards verschwunden. Dafür verkaufen sie so viele Platten wie nie zuvor, räumen bei der Mainstreamveranstaltung Brit-Awards Preise ab und bezeichnen sich selbst als „the people's band“.
Die letzte Kontroverse um die gewöhnlich gewordene Rockband spielt sich auf den Leserbriefseiten der englischen Musikpresse ab, wo frühere und neue Fans erbittert streiten, ob die Manics heute scheiße sind oder nicht. In Interviews sitzt der Schlagzeuger Sean Moore schweigend herum, der Sänger James Dean Bradfield äußert sich in Rockphrasen und der Cricketfan Nicky Wire müht sich um das gute Zitat. Doch hängen bleibt oft nur eines: „Oh je, was hätte Richey dazu gesagt?“
Mi, 10. März, 20 Uhr, Docks
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen