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Heldinnen in Zobelpelzen

■ Maria Schild erzählt sibirische Märchen

Über 50.000 Rabenvögel sind zur Zeit ohne Einreisevisum in Berlin. Die Wintergäste, vor allem Saat- und Nebelkrähen, kommen aus der Sowjetunion, wo nach der Überlieferung momentan strenger Frost herrschen sollte. Noch weiter östlich liegt Sibirien, ein nicht weniger erfrorener Landstrich, wohlversehen mit einem Schatz an Volksmärchen, der zumindest den dort lebenden Menschen in der kalten Jahreszeit Wärme spendet.

Die Märchen der Sibirier unterscheiden sich vom teutschem grimmem Hausschatz vor allem durch ihre frauenfreundliche Rollenverteilung: während bei »Hänsel und Gretel« weder Stiefmutter noch Hexe als Sympathieträger zur Verfügung stehen, wimmelt es in alten sibirischen Erzählungen von starken Frauen und weisen, mächtigen Greisinnen. Der Legende nach ist — während im zivilisierten Europa die Inquisition tobte — in Sibirien keine einzige Kräuterfrau verbrannt worden. Eingehüllt in Schneestürme und Zobelpelze, den Widernissen des Kontinentalklimas ausgesetzt, bestehen die Heldinnen der fernöstlichen Volksliteratur Abenteuer, die Kraft geben, um weiter zwischen wilden Bären und lokalen Sowjets auszuharren.

Maria Schild, Ethnologin und Schauspielerin, hat den Sibiriern, Weltmeistern im Ausharren, nachgespürt: auf der Suche nach dem Geheimrezept, das übermenschliche Kräfte verleiht, ist sie auf deren Märchen gestoßen. Die besten wird sie heute abend in der Ufa-Fabrik vortragen: erzählt und nicht abgelesen, bei russischem Tee, womöglich knisterndem Kaminfeuer und all dem Drumherum, das bei solchen Veranstaltungen unerläßlich ganzheitlich scheint. Aber das ist ein anderes Märchen. Stefan Gerhard

um 20.30 Uhr in der Ufa-Fabrik, Viktoriastr 8-10, 1-42

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