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Heinrich ist abwesend

■ »In Nachitalien. Ein Aufenthalt.« — Ernst Molden auf dem Stückemarkt

Man konnte sich vorstellen, in einer Kirche zu sitzen, wo Ministranten Fürbitten heruntersprechen, ohne an ihre Erhörung zu glauben. Es war jedoch ein Theaterstück, das im Rahmen des Stückemarktes in der Vorhalle der Freien Volksbühne von resignierten Stimmen verlesen wurde: In Nachitalien. Ein Aufenthalt. von Ernst Molden. Zunächst breiten die Figuren, fast alle weiblich, ihre Lebensumstände aus. Der einzige Mann heißt Heinrich und ist abwesend. In sein Landhaus verbannt er seine Frau Helene, seine Cousine und Geliebte Lina und sein Kleinkind, genannt »Krustentier«. Zu ihnen gesellt sich Frau Arbeit, die älteste Bekannte seiner Schwiegermutter.

Alles wartet auf Heinrich. Es entspinnt sich eine ellenlange Konversation. Mal geht es um Heiltropfen, mal ums Essen: »das Huhn schmeckt gut«, »Huhn mit Paprika«. Zwischendurch versuchen sie, dem Gespräch einen Anstrich von Tiefsinn zu geben: »Alle lügen«. Doch reden sie weiter um den Brei herum: »Wenn sie ihr Herz aufmacht, kommen die bösen Wahrheiten heraus.« Gemeint ist Lina, die »ein bißchen verrückt« sein soll.

In der Halle beginnen jetzt die ersten Zuhörer hinaus ins Freie zu tröpfeln. Das erste Bild ist noch nicht zu Ende gesprochen, drei weitere werden folgen. Da versuchen die Vorleser, ihr Publikum mit einem subtilen Trick bei der Stange zu halten: Das Wort »Schwänze« fällt. Lina ist im Tiefflug mit ihnen kollidiert. Nun ist ihr Bauch blutig. Die Schwänze sind angeblich grau und auf den Rücken von Elefanten befestigt. »Elefanten sind meine Begleiter«, behauptet die Bruchpilotin. Ebensogut könnte sie erklären: »Ich sammle Briefmarken«. Aber auf Briefmarken kann man keine Schwänze kleben.

Lina erscheint plötzlich nackt und hat eine Hand zwischen den Beinen. Warum? »Heinrich hat es erlaubt.« Wer meint, die Frauen würden sich dadurch von ihrer Konversation abbringen lassen, irrt. Wenigsten erfährt man jetzt, was »Nachitalien« bedeutet. Es handelt sich um das Land, wo Lina beim Tieffliegen »nicht aufschlagen darf«. Was bedeutet »Aufschlagen« in diesem Fall? Welche Ursachen hätte es, welche Folgen? Fragen, die man diesem Stück besser nicht stellt.

Jede Frage dient hier nur als Stichwort, um sich in Belanglosigkeiten zu ergehen oder mit Klugschwätzerei zu glänzen. Hauptsache, frau wartet auf Heinrich. Er dominiert, weil sie ihn ständig beschwören. »Im Kreis geht es um meine Mitte dahin«, charakterisiert Lina das Denkmuster der Frauen im Stück. Leider wissen sie nicht, wo ihre Mitte ist. Deshalb geht es nur im Kreis dahin. Das ist weder bühnenwirksam noch abendfüllend. Lina zwingt nun die anderen, ihr die Frage zu beantworten: »Warum haßt ihr mich?« Anstatt ihr den langen Mittelfinger zu zeigen, setzen die sich brav »in einer Reihe« hin und reden wie aufgezogen: Wörter, wie von dumpfen, unselbständigen Wesen, die aufs Leben starren. Wie sieht dieser Nachwuchsautor Frauen?

»Der Autor ist anwesend«, versprach das Programmblatt. Anhand des beiliegenden Fotos erkennt man ihn leicht. Er sitzt am Rand, den Kopf in eine Hand gestützt und zutzelt sich fortwährend am Mund herum. Ernst Molden ist Österreicher und schreibt mit 24 Jahren bereits sein zweites Stück. Beim dritten Bild hält es ihn nicht mehr im Raum. Wie viele andere geht er, in Richtung Getränkestand. Vielleicht ermüdet auch ihn die Sprache des Stückes, die wenig Spezifisches hat. Molden verwechselt Durchschnittliches mit Lebensnähe und Abstumpfung mit Abgehobenheit. Irgendwann muß Schluß sein. Darum bringt Helene ihr Kind, das »Krustentier«, um. Über das Opfer weiß man bisher kaum mehr, als daß es herumgeschoben wurde. Sein Ende läßt kalt. Heinrich ist nach wie vor abwesend. Konstantin Breyer

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