: Heimspiel in der Fremde
■ Der FC St. Pauli verliert im 120. Hamburger Derby „zu Hause“ gegen den routinierteren HSV mit 0:2
Ernste Gesichter im VIP-Raum des Volksparkstadions, eingefallene Mienen bei den Verantwortlichen des FC St. Pauli. 0:2 hatte der Millerntorklub soeben gegen den Hamburger SV verloren — im 120. Lokalderby, wie die ortskundigen Statistiker nicht müde wurden abzurechnen. Cleverer, routinierter als die St. Paulianer und gelegentlich auch mit alter Klasse hatte die HSV-Elf den Sieg erarbeitet. Das Heimspiel des FC St. Pauli in der sterilen Spielstätte des HSV, das allein aus ökonomischen Gründen dort und nicht am heißgeliebten Millerntor ausgetragen wurde, geriet — mehr Springball, denn Fußball — zu einem Lehrstück verpaßter Chancen.
Von Beginn an kämpften beide Teams um den Sieg, der Verdacht, mit einem Unentschieden sollten wie bei den torlosen Katastrophenkicks der vergangenen Saison beider Klientel befriedigt werden, kam gar nicht erst auf. Schließlich hatten sich die Klubs rechtzeitig vor dem Prestigefight auf Wir-stehen- am-Scheideweg-Positionen begeben. Der FC St. Pauli, Remis-König der Liga mit aufgebrauchter Kampfmoral und jüngst ohne Fortüne, mußte siegen, um nicht in den Ligakeller zu stürzen. Und die Profis des HSV wollten ihrem neuen Vereinsboß Jürgen Hunke („Sagen Sie mir, welche Lebensziele Sie haben, dann sage ich Ihnen, welche Ziele der Verein hat.“) beweisen, daß sie Mumm in den Knochen haben, daß das Credo des neuen Chefs, des Versicherungsdealers mit Hang zur fernöstlichen Kultur und zur christdemokratischen Leutseligkeit, auch das der kickenden Angestellten ist: „Leistung ist die beste Sicherheit.“
Der teils ansehnliche Ansatz im Mittelfeldspiel des HSV jedoch endete zunächst ohne Torerfolg — da war der HSV-Sturm noch zu hilflos-hopsig und die St.-Pauli- Abwehr zu kompromißlos. Eine mißglückte Flanke des überragenden Thomas Doll (10.), die von der Latte des von Thomforde gehüteten Tores zurückprallte, blieb die ganze Ausbeute. Im Gegenzug bäumte sich der Tabellendreizehnte auf: Nach einem ersten Warnschuß durch Frank Zanders Fallrückzieher (23.), der HSV- Keeper Richard Golz zu einer Glanzparade herausforderte, verfehlten Peter Knäbel mit einem Weitschuß (33.) und Jürgen Gronau per Kopfball (36.) das Tor. Bis zu diesem Zeitpunkt war von der allseits prophezeiten HSV-Renaissance nichts zu bemerken, typisch die Ballstaffetten um den Mittelkreis herum, ebenso wie das mangelnde Torschußvermögen.
Doch dann leistete sich der FC St. Pauli „zwei Konzentrationsmängel“ (Trainer Schulte) in der Abwehr, wonach der HSV durch Thomas von Heesen (56.) und Nando (59.) 2:0 führte und für den Rest der Spielzeit der Lokalkonkurrenz vorführte, wie man einen Vorsprung mit gepflegt-langweiligem Tändelfußball und einer sicheren Abwehr über die Runden bringt — währenddessen die HSV-Hooligans in kleiner Schar vom Polizistengürtel eingeschnürt Leuchtraketen in die St.-Pauli-Fankurve schmissen. Die war böse („Wir wollen keine Nazi-Schweine!“), am Ende aber ob der Niederlage ihrer glücklosen, ermatteten Helden vor allem traurig.
Und während man beim HSV darob wieder vom UEFA-Pokal träumte, sich endlich wieder, in lang vermißter Manier als „Hamburgs Meister“ ('Bild-Zeitung‘) feiern ließ, realisierten die FC-St.- Pauli-Vertreter: Es war ein Fehler, des schnöden Mammons wegen ins Volksparkstadion umzuziehen. Trainer Schulte: „Am Millerntor wäre das Spiel nicht so gelaufen.“ Vielleicht aber ähnlich: Denn die Begeisterung ob des unverkrampften Paulianergeistes, der allzeit den Widrigkeiten des Profigeschäfts zu trotzen bereit schien, ist auch nicht mehr die alte, allein schon deshalb, weil auch im Fußball stimmt: Das kollektive Happening unterliegt den Kräften des big business am Ende eben doch. JaF/taz
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