■ Vorlauf: Heillos vergessene Landeier
„Wilder Westerwald“, Sonntag, 23.45 Uhr, ZDF
Das Leben in den Metropolen ist langweilig geworden. Die wichtigen Dinge passieren heute auf dem Land. Dorthin zurück flüchtet die Berliner Rocksängerin Lisa. Mit einem Kind im Bauch von ihrem Freund, den sie nicht mehr liebt, weil er falsch Gitarre spielt. Zu Hause im wilden Westerwald begegnet sie der Bulgarin Verena. Der hiesige Fernsehtechniker Hartmut hat sie per Video-Kontaktanzeige aus Sofia in die deutsche Provinz geholt, wo die Aufstellung des ersten Kartentelefonhäuschens wie die Enthüllung eines Denkmals gefeiert wird.
Während die beiden Frauen sich lustvoll danebenbenehmen, entfaltet Bernd Löhr auf witzige Weise das Thema seines kaum einstündigen Kleinen Fernsehspiels „Wilder Westerwald“. Die heillose Versessenheit der Landeier auf multimediale Anbindung schlägt sich keinesfalls in multikultureller Gesinnung nieder. Die Neuen Medien erfüllen allein die Funktion von Statussymbolen, was der Film auf eine hintersinnig-gallige Weise pointiert.
„Wilder Westerwald“ gefällt vor allem wegen seines ausgeschlafenen Humors. Unter den argwöhnischen Blicken der Westerwälder Dorfszenerie kommen Lisa und Verena sich näher. Einmal unterhalten sie sich über die Bedeutung der Sterne. Im Bierzelt hinter ihnen ist derweil eine Massenkeilerei ausgebrochen, die wir beleuchtungsbedingt nur lautlos und als rötliches, scherenschnittartiges Schattenspiel wahrnehmen. Es gelingen dem Regisseur wahrhaft sprechende Bilder, die aufgrund ihrer lakonischen Beiläufigkeit nicht einmal gestellt oder konstruiert wirken.
Die groteske Dorfszenerie gibt jedoch nur den Hintergrund ab, vor dem der Film die Geschichte der Begegnung der zwei so unterschiedlichen und doch ähnlichen Frauen entfaltet. Lisa und Verena sind die einzigen Protagonisten, die einander verstehen. Alle übrigen sind einander fremd, ohne es zu wissen. „Wilder Westerwald“ ist ein Heimatfilm über Heimatlose, der nebenbei eine zartbittere Lesben-Romanze andeutet.Manfred Riepe
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