Haushaltsdebatte in Berlin: Lebensgefährdende Einsparungen
Die Sparmaßnahmen in Berlin gefährden auch die Gewaltprävention. Beratungsstellen sind angesichts wachsender geschlechtsspezifischer Gewalt alarmiert.
Bei CDU und SPD scheint das nicht angekommen zu sein. Deren Sparmaßnahmen betreffen auch den Opfer- und Gewaltschutz massiv. Zuwendungsprojekte der Gewaltprävention und Opferhilfe werden um 4,5 Millionen Euro, also um fast 40 Prozent gekürzt. Dazu droht den Projekten der Anti-Gewalt-Arbeit eine pauschale Kürzung. Zusätzlich wurden 50 Millionen Euro Tarifmittel für die Tariferhöhungen der Mitarbeiter*innen gestrichen.
Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) mit der Hotline gegen häusliche Gewalt schlägt daher Alarm. Die Haushaltspolitik von CDU und SPD verhindere die drängende Nachbesetzung vakant gewordener Stellen. Zudem werde die BIG durch die permanente Finanzierungsunsicherheit als Arbeitsplatz immer unattraktiver, kritisiert Geschäftsführerin Doris Felbinger.
Dabei ist die Nachfrage groß: Im Juli meldete die Hotline die höchsten Anrufzahlen seit der Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie. „Eigentlich sollten wir über eine Erweiterung unseres Angebots diskutieren“, sagt Felbinger.
Doch selbst das bestehende Programm sei ständig von Kürzungen bedroht – darunter auch das Präventionsprojekt der BIG, bei dem Grundschulkindern beigebracht wird, dass Menschen keine Besitzansprüche aneinander und ein Recht auf ein gewaltfreies Leben haben. Die Warteliste reicht inzwischen bis 2026.
Kürzungen treffen viele Beratungsstellen und Frauenhäuser
Die Einsparungen betreffen nicht nur die BIG, sondern auch andere Beratungsstellen, Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Die Volkssolidarität hatte bereits in der vergangenen Woche eindringlich gewarnt, dass ihre Täterarbeitseinrichtung „Beratung für Männer – gegen Gewalt“, die in diesem Jahr 25 Jahre alt wird, den Kürzungen zum Opfer fallen könnte.
In diesem Jahr sei es ihnen durch die Ausweitung auf vier Standorte „erstmals ansatzweise gelungen, alle Täter zu erreichen, die die Kriterien erfüllen, um in unsere Beratung zu kommen“, so die Vorstandsvorsitzende der Volkssolidarität Berlin, Susanne Buss.
Bei der Täterarbeit übernehmen Täter Verantwortung für ihr Handeln. Das biete aktuellen und kommenden Partnerinnen und Familien Schutz vor häuslicher Gewalt. „Solche Projekte via Kürzung zu streichen, ist ein Zunichtemachen gerade aufgebauter weiterer Angebote“, sagt Buss.
Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gab am Mittwoch im Abgeordnetenhaus Entwarnung: Das Projekt der Volkssolidarität sowie das Projekt „Kind im Blick“ des Sozialdiensts Katholischer Frauen und die „Einzel- und Gruppentherapie von Tätern mit Weisung“ des Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk sollen von den Einsparungen ausgenommen werden.
Bei anderen Projekten werde es jedoch „maßvolle Anpassungen“ geben. In einem „sehr, sehr kleinen, vertretbaren Rahmen“ sollen bei den Projekten „Childhood Haus“, dem ambulanten, sozialen Gewaltpräventionsprogramm und Beratungsangebot zum Schutz vor Gewalt im öffentlichen Raum sowie beim Projekt „Wegweiser“ Kürzungen vorgenommen werden, so die Justizsenatorin.
Geschlechtsspezifische Gewalt nimmt zu
Susanne Buss von der Volkssolidarität kritisiert das: „Diese Arbeit ist enorm wichtig, gerade in Zeiten, in denen sich Femizide mehren.“ Allein in diesem Jahr gab es in Berlin bereits 29 Femizide.
Dass geschlechtsspezifische Gewalt bundesweit in allen Bereichen zunimmt, zeigte das Ende November vorgestellte erste Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“. Demnach stieg die Zahl weiblicher Opfer häuslicher Gewalt 2023 um 6,5 Prozent auf 180.715 (2022: 171.076). Bei Sexualstraftaten wurden 52.330 weibliche Opfer erfasst, eine Zunahme um 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Kürzungen in diesem Bereich bewertet daher auch die BIG-Geschäftsführerin Doris Felbinger als „fatales Zeichen an gewaltbetroffene Frauen und ihre Unterstützer*innen“. Neben einer gesicherten Finanzierung fordern die Beratungsstellen und Frauenhäuser die Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Diese scheitert bislang an der mangelnden Umsetzung des Landesaktionsplans, den der Senat im Oktober vergangenen Jahres zur Umsetzung der Istanbul-Konvention beschlossen hat. Laut Konventionsschlüssel müsste Berlin 963 Plätze in Frauenhäusern zur Verfügung stellen. Es gibt jedoch nur 462, knapp die Hälfte.
Selbst der von der Justizverwaltung ernannte Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber, moniert, dass die seit Jahren in Aussicht gestellten zusätzlichen Frauenhausplätze in Berlin endlich geschaffen werden müssten. Anlässlich seines jüngst veröffentlichten „Berichts zur Situation der Opfer von Straftaten im Land Berlin 2023“ blickt auch Weber auf die Einsparmaßnahmen. Dem RBB sagte er, er hoffe doch, dass deshalb die Täterarbeit nicht unter die Räder komme.
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