Hausbesuch Die Aachener Juristin und Tierschützerin Eva Beutin backt gerne, hat zwei Katzen, mit denen sie italienisch spricht, lebt vegan und ist glücklich, wenn sie ihren Müll sortiert: Holz zu Holz, Glas zu Glas
Text Helke Ellersiek Fotos Heike Lachmann
Ein Besuch bei Eva Beutin in Aachen, der alten Kaiserstadt am Rande Nordrhein-Westfalens.
Draußen: Durchs nasse Gras des halb gepflegten, halb verwilderten Gartens geht es zu einem Steinhaus. Blumentöpfe mit Bohnenranken stehen vor dem Haus, „das Projekt der vierjährigen Nachbarstochter“. Die vierfarbige „Glückskatze“ sitzt auf dem Fensterbrett. Wenn Beutin im Urlaub ist, passen die Nachbarn auf sie und die zweite Katze auf. Echte Nachbarschaft, „jeder hat von jedem mindestens zwei Schlüssel“.
Drin: Zwei Etagen, ordentlich, modern, heimelig. In einer Ecke steht eine lebensgroße Pappfigur vom Schauspieler, der in der Serie „Breaking Bad“ den Junkie Jesse Pinkman spielt. „Ich fand Jesse Pinkman immer toll“, sagt Beutin. „Der ist zwar kaputt, aber gutherzig. Nicht wie Walter White, der ist nur kaputt.“ Die Figur hat ihr die Nachbarin geschenkt. „Grundsätzlich bin ich eine Serienguckerin.“ Eine Etagere mit veganen Cupcakes steht bereit. „Eigentlich backe ich nicht, um selbst zu essen, ich verschenke lieber. Ich backe vor allem, um zu backen.“ Ein Kännchen Sojamilch steht neben dem Kaffee, „ich glaub, der ist stark, ich bin nicht so eine Kaffee-Expertin.“
Wer ist sie? Eva Beutin, 35, ist Juristin, vegan und interessiert sich für Buddhismus.
Was macht sie? Nach dem juristischen Staatsexamen ist sie nach Mailand gegangen. Mit den Katzen spricht sie auch italienisch. Geboren ist sie in Oberhausen, sie war auch mal ein Jahr in den USA. Seit sechs Jahren wohnt sie in Aachen „des Jobs wegen“. Sie arbeitet in der Rechtsabteilung eines französischen Baustoffkonzerns, „das ist zwar nicht so wahnsinnig sexy, aber ich mag’s.“ Sie wollte nie in einer Kanzlei arbeiten; es gefällt ihr, dass es mit Industrie zu tun hat. Und was sie im Referendariat „total affig“ fand, nämlich dass man vor Gericht schon schauspielern, eine Show für Richter, Staatsanwalt, Mandanten, Gegner bieten müsse, da hat sie sich auch reingefuchst.
Aachen: Die Stadt sei nett, „aber es wird nie meine Traumstadt werden“ – zu klein, „zu piefig“, zu „männlich geprägt“. „Es fällt auf, dass hier viele Maschinenbauer leben. Es gibt wenig Bars, aber viele Kneipen.“
Was denkt sie? Sie ist ein zufriedener Mensch. „Das klingt trivial, ist es aber nicht. Die meisten haben irgendwas zu meckern, am Job, an den Leuten. Ich bin glücklich.“ Sie isst seit fünf Jahren vegan, „das nehme ich auch ernst“, aber missionarisch sei sie nicht. „Mir ist es wichtiger, das vegane Leben entspannt vorzuleben, anstatt den Leuten dauernd unter die Nase zu reiben, wie viel Leid mit Fleischkonsum und den tierischen Produkten verursacht wird.“
Das mit den Tieren: Sie leitet ehrenamtlich eine Peta-Ortsgruppe und berät Animal Equality und andere Tierrechtsorganisationen in Rechtsfragen, „ich bin gern aktiv“. Mehrmals im Monat backt sie mit der „durchaus respektablen Aachener Veganerszene“ Kuchen, die sie dann gegen Spenden in Fußgängerzonen verteilen. Die Spenden gehen an einen Gnadenhof in die Nähe. „Das ist für mich die Idealform: Ich kann backen, das macht Spaß, und dann kann man sich damit für Tierrechte einsetzen.“ Sie freut sich aber auch auf Abende mit ihren nicht veganen Freunden, „das läuft dann ohne Flyer-Verteilen“.
Tierliebe und Kapitalismuskritik: Vegetarisch ist sie, seit sie in der dritten Klasse in einem Film sah, wie ein Schwein geschlachtet wurde. „Da war es für mich vorbei.“ Sie hat dann irgendwann die Buchklassiker über veganes Leben gelesen, seither isst und trägt sie keine Tierprodukte mehr. „Ich bin vegan, weil ich nicht mehr Teil dieses Systems sein möchte, das Tiere als gefühllosen Rohstoff betrachtet.“ Tiere könnten doch auch denken und fühlen und Schmerz empfinden. Mit veganen Freundinnen veranstaltet sie oft „Fressmobs“, sie reservieren dann mit bis zu 20 Leuten Tische in Restaurants. Nach dem Essen geben sie Anregungen für die Karte. „Davon haben beide Seiten was, das macht großen Spaß.“ In Zoos geht sie auch nicht mehr, „mir ist bisher keine Tierart eingefallen, die man im Zoo artgerecht halten kann. Eisbären durchstreifen in freier Wildbahn ein Gebiet so groß wie Italien.“ So groß ist kein Gehege. „Deswegen ist für mich die Tierrechtsdebatte auch immer ein bisschen Kapitalismuskritik: Es geht um das Ausbeuten von Tieren für Gewinn.“
Wie findet sie Merkel? Sie zögert. „Über Merkel muss man nachdenken. Meine erste Reaktion ist erst mal positiv, weil sie eine Frau ist. Aber mich berührt diese Frau nicht mehr.“ Am Anfang sei das noch anders gewesen. Mittlerweile finde sie Merkels Politik nur noch unerträglich. „Ich empfinde einen dauerhaften Fremdscham für ihren Umgang mit Griechenland“, am schlimmsten sei aber der Skandal um „Merkel streichelt“ gewesen, als die Kanzlerin einem Flüchtlingsmädchen vor laufender Kamera erklärte, dass „nicht alle hierbleiben“ könnten, und das Mädchen danach zu weinen begann.
Merkel und Flüchtlinge: Die Politik der Kanzlerin „enthält zu wenig Mensch“, sagt sie. Trotz der Flüchtlingsthematik. So wie bei dem Mädchen in der Sendung funktioniere Flüchtlingspolitik in Deutschland. Es liefe alles darauf hinaus: „Vielleicht hast du einfach Pech gehabt.“ Oder auch mal Glück.
Wann ist sie glücklich? „Beim Müllsortieren.“ Manchmal packt sie an einem Samstag ihr Auto voll und fährt beim Recyclinghof vorbei. „Sperrmüll und ausgemistete Sachen in die richtige Kiste zu schmeißen macht mich irgendwie glücklich.“ Holzreste zu Holz, Glas zu Glas, Elektro zu Elektro und dann die Kabel noch abfummeln und in die Kabelbox werfen – „das ist ja schon was Urdeutsches, in keiner anderen Nation würden Leute ihre Samstage auf dem Recyclinghof verbringen!“ Außerdem liebt sie es zu schwimmen. „Die ersten Züge unter Wasser sind immer was ganz Besonderes.“
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