Hauptstadtmusik: Divertimento matinale
■ Was passiert, wenn die Berliner morgens um sieben ihr Radio einschalten
„Jeder kann helfen!“ So steht es aufmunternd in Kapitälchen auf dem Faltblatt, das sich unter die Hauptstadtmusikpost geschmuggelt hat. Darunter zwei Kontonummern. Kauft Karten!
Wieder einmal geht es um ein Stück bedrohte Kultur, Spenden sind steuerlich absetzbar. Doch diesmal gilt es nicht, ein öffentlich-rechtliches Orchester zu retten, auch soll kein Staatstheater vor der Schließung bewahrt werden – hier singt nur Grande Dame Montserrat Caballé zum Benefiz der Ethik der Ärztekunst. Sie singt umsonst. Sie wirbt mit Verdi „um Verständnis für die dramatisch akuten ethischen Fragen der Medizin“, die dank dem technischen Fortschritt immer akuter werden – und das ist natürlich nicht billig: Eintritt in die Philharmonie plus Buffet plus gemütliches Beisammensein kostet (ohne Spendenbescheinigung) schlappe 150 Mark.
Aber was ist das schon für einen Medizinmann, der ernsthaft mit Kollegen den letzten Kunstfehler erörtern oder sich darüber austauschen will, wann künftig welcher Apparat abgeschaltet werden soll und wann nicht? Sowieso ist seit Albert Schweitzers Zeiten wohlbekannt, daß Musik und Medizin zwei einander insgeheim tief verbundene Kräfte sind. Nur eine Kleinigkeit, mit Verlaub, scheint an dieser Verbindung hier nicht normal. Sonst sind es eher die Ärzte, die freudig Almosen werfen in den stets weit geöffneten Schlund des Musikbetriebes. Hier läuft's umgekehrt. Hier sponsert die Kunst die Sponsoren. Das ist neu. Das ist revolutionär! Ob's aber auch funktioniert, das läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt wirklich noch nicht sagen.
Berliner Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter, Berliner Schwestern, Schüler, Patienten und Arbeitslose, ja sogar soziale Randgruppen wie Journalisten und Rentner schalten in West und Ost seit vierzehn Jahren morgens früh nach dem Aufstehen den Radioapparat ein und hören SFB 3: „Klassik zum Frühstück“. Es handelt sich dabei um die erste klassische sogenannte „Morgenstrecke“ eines dritten Radioprogramms, mit Frühkritik und Feuilletonlese, von anderen Sendern oft kopiert und nie erreicht: Denn das speziell Berlinische an dieser Live- Sendung, die man anderswo nachzuahmen in diesem Ausmaß nicht wagt, war besonders die gefährlich bunte, semiprofessionelle und hybrid-provinzielle Moderatorenhorde, die da Morgen für Morgen durchs selbstgewählte Musikprogramm führte [J. Brettingham-Smith beispielsweise in Orginalsprache, einfach göttlich! d. säzzer]. Allesamt wohl professionell innig mit der Musik verbunden, als Musikkritiker, -wissenschaftler, Orchestermusiker, Musikbibliothekar oder Komponisten; aber allesamt natürlich nicht gleichermaßen stromlinienförmig mikrophonkompatibel – und vor allem: jeder mit einer völlig anderen musikalischen Leidenschaft begabt.
Jeden Morgen also quakte, brummte, murmelte, säuselte oder schnurrte in Berlin eine andere Stimme zwischen 6.05 und 8.20 Uhr früh durch den Äther, jeden Morgen gab es neue musikalische Lieblingsstücke und Spezialitäten zum Frühstück zu hören. Auch ich (erwischt, ich geb's zu, diese Kolumne ist wieder einmal nicht objektiv) – auch ich habe einige Male mit Vergnügen diese Sendung moderiert.
Das Vergnügen ist jetzt vorbei. In der Hauptstadt sollen, so haben es SFB-3-Wellenchef Wilhelm Matejka und Hörfunkdirektor Jens Wendland nunmehr beschlossen, auch morgens früh endlich nur noch genau die gleichen Töne zu hören sein wie sonst überall auch in diesem unserem vom Rieselfunk „KlassikRadio“ gebeutelten Lande. Die Moderatoren sind gehalten, künftig einwandfrei moderatorenmäßig glatt und reibungslos zu parlieren. Die Musik dürfen sie auch nicht mehr selbst aussuchen, sie haben nur mehr ein Vorschlagsrecht innerhalb der von Chef Matejka gewünschten Grenzen: der will fortan morgens aus seiner Welle plätschern hören, was er ein „Divertimento matinale“ nennt: das heißt nur noch mittelschnelle, mittellustige, mittelmäßige, mittelklassische Musik. Auf keinen Fall aber mehr alte oder neue, ausländische oder etwa gar – pfui! – langsame Musik. Denn so etwas wollen die Hörer, sagen die SFB- Oberen mit schiefem Blick auf die Statistik, nicht mehr hören. Und die da oben mit den Zahlen in der Hand, die wissen ja immer am besten, was die da unten mit den Ohren am Kopf am allerliebsten hören [Dementia senilis, kann da der säzzer von unten nur noch rufen!].
Also wurde kurzerhand der langjährige Redakteur der Sendung „entpflichtet“ und anderen Aufgaben zugeordnet. Nach langem, heißem Ringen sind 23 von 24 Moderatoren der Sendung unter Protest aus der letzten Sitzung ausgezogen und befinden sich seit Samstag im „Streik“. Damit wurde „Klassik zum Frühstück“ – ein knorriger, entzückend altmodischer, mitunter unverhofft munter ausschlagender und unberechenbar immer neu erblühender Baum in der Radiolandschaft, ein quasi lebendiger Organismus – von Apparatschiks gewaltsam und willkürlich abgeschaltet. Am Gelde lag es diesmal nicht, wie verlautet. Aber, mit Verlaub, es fehlte an Hirn. Da kann nur noch einer helfen: Hilf also! Samiel, hilf! Eleonore Büning
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