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Hauptsache laut, bunt und doof

Die Teufelsberg-Produktion gastiert mit „Mutti's Rache“ und einem Video-Anhang im Checkpoint  ■ Von Petra Brändle

Lange noch hielt es an, dieses Klingeln in den Wahrnehmungsorganen für akustische Reize. Verantwortlich dafür: eine Überdosis Dezibel. Der Klangteppich an stimmlicher Schräglage jeder Variation war raumfüllend und in seiner Dimension gewiß dem Jammern der ein paar Stündchen zuvor um Olympia Geprellten ebenbürtig.

Wahrlich: Die Damen oder/und Herren vom Teufelsberg wurden wieder einmal vom Teufel geritten. Banal, aber wahr; so banal-trivial wie auch ihre Inhalte. Hauptsache laut, bunt und doof; wenn's noch ein bißchen lauter, bunter, doofer geht: um so besser! Ades Zabel und Olav Wriedt als Edith und Hotte greifen Nerv und Hirn der ZuschauerInnen ohne Erbarmen frontal an. In „Mutti's Rache“ geht's ums Erbe und den Neuköllnern endgültig an den Ruf. Die gerade verblichene Super-, Über- und aus der Urne wiedererstandene Mutti spielt Robert Schneider. Testamentarisch hat sie festgehalten, daß der Landsitz in Schlesien ihrem Sohn nur dann zukomme, wenn er sich von Edith trenne. Allenthalben mahnt sie dies, aus der Schublade schlüpfend oder ihrem Portrait entwachsend, an – stets diabolisch von unten beleuchtet.

Auch im Traum gibt sie ihrem Jungen keine Ruhe. Dieser Junge indes ist eine ausgesprochen ekelhafte Interpretation des Prototypen, der vorzugsweise um den Hermannplatz herum anzutreffen ist. Er lullt die Restbestände derbsten Berliner Slangs zwischen seinen breitgezogenen Lippen hervor und ist ansonsten mit spärlicher Schulbildung ausgestattet. Nichtsdestotrotz: Seine goldkettendekorierte Brust ist stets stolz angeschwollen, vor allem wenn es um seinen Siewissenschonwas und den Ascona geht. Im Laufe des Stücks, will sagen: der Bruchstücke, läuft Edith (die mit der schaukelnden Brust) davon und verscherbelt – natürlich – den Ascona. Für hundert „De- Mark“. Hernach wird Hottes verbleibender Stolz entblößt – animiert von Jutta, der auf Hotte scharfen Nachbarin (ebenfalls Robert Schneider). In lüsternes Rot getaucht, strippt Hotte zum Siebziger-Jahre-Discohit. Fast verdirbt dann eine knappe Schmuddelunterhose aus der Altkleidersammlung den Anblick.

Für alle Widerstandsfähigen (dazu zählte allerdings nicht das ältliche Ehepaar neben mir, das die Pause erleichtert als Fluchtgelegenheit ergriff), für die Standhaften also bot sich nun der traumhaft-wunderbare Anblick einer langen, rotsamtenen Zipfelmütze mit Glöckchen.

Selbst wenn sich die drei auf der Bühne mal improvisierend zwischen einem Kurzstreckenwitz und dem nächsten Hänger verirren, ist ihre Show noch immer komisch. Irgendwie haben sie die Gabe, auch aus Pannen noch Gold zu machen: Nicht mühevolles Vertuschen, sondern demonstrative Ausbeutung derselben ist ihre Linie. Edith- Ades motzt über zu langes Gehoppse zum Discohit, Jutta-Robert mahnt den Sitz der Perücke an oder sucht laut nach seinem Stichwort. Wer noch mehr Abwechslung braucht, um sich knappe zwei Stunden erheitern zu können, dem wird mit den echten Teufelsberg- Videos und -Dias geholfen. Es ist eine wahre Freude, den Trauermarsch zum Friedhof durch die wackelnde, stets im Mittelpunkt stehende Kamera zu verfolgen. Dieser scharfe Blick hat was von Realsatire – mit dem Vorteil, daß darüber ohne Gruseln gelacht werden kann.

„Mutti's Rache“. Bis 26.9. im Checkpoint; 30.9.–6.10: Retro der Teufelsberg-Produktionen

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