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Hauptsache Theater

■ »Schade, daß sie eine Hure ist« von John Ford im Ensemble-Theater

Es krachen die Balken, wenn die Helden der Tragikomödie John Fords Tis Pity shees a Whore von 1633 auf die einfache Bretterbühne des Ensemble-Theaters springen und sich in den Gang der Ereignisse werfen. Die Türen zittern in den Angeln unter ihren entschiedenen Abgängen; schnell werden die Klingen gekreuzt und Menschen unter den Achseln hindurch zu Tode gestochen. Affekt bringt Effekt, ein Theater-Wille ist da und ein guter Text.

Drei Männer werben um Annabella, Tochter aus begütertem Hause, die eine ernste und schöne Frau ist und all diese selbstverliebten Hagestolze nicht will. Sie liebt aufrichtig ihren Bruder, der sie ebenfalls liebt. Und weil die beiden ihre Liebe gegen das Veto der Kirche verwirklichen und sie dabei schwanger wird, heiratet sie, um die Katastrophe abzuwenden, doch noch einen ihrer Galane. Er, der Edelmann Soranzo, entdeckt den Betrug, will ihn aber offensichtlich decken: In einer von ihm inszenierten Geburtstagsfeier kommen dennoch alle zu Tode.

Regisseur Thomas Hollaender kann mit seiner Inszenierung nicht klarmachen, was er mit dem Stück eigentlich will. Zwischen einer auf Unterhaltung zielenden und auf Muskelkraft bauenden Mantel-und- Degen-Dramaturgie und einer psychologischen Durchleuchtung der Typen schwankend, versucht er, das Selbstsüchtige hinter den großen Liebesgebärden der Männer bloßzustellen. Der Bruder Annabellas, Giovanni, soll kein jugendlich leidenschaftlich Liebender, sondern ein von Besitzgier Getriebener sein, der die Schwester am Schluß lieber ermordet, als daß er sie einem anderen überläßt. Die Geschwisterliebe verführt folglich nicht durch sinnliche Naivität, sie kommt gar nicht erst auf, sie klingt in Giovannis Mund von Anfang an nach Leerformel, der Mord hat nichts Tragisches — alles ist reine Farce — ein Comicstrip.

Die Männerfiguren bleiben aufgrund dieser Unentschiedenheit äußerst heterogen; während Bergetto (Falk Walter), der selbstverliebte Träumer, seine um Gänseblümchen und kleine Kakteen kreisende Existenz überzeugend auf der Bühne entfaltet, ist Grimaldi (Hans Jörg Berchtold), der Haudegen, ein reiner Batman-Verschnitt, Soranzo (und wieder Falk Walter) eine etwas zu sehr ins blutarme Rosa abgetönte, unklar motivierte Figur, Giovanni (Gerhard König) jenes hölzerne Bengele, Robert Podlesny als Pater und Kardinal hat gerade noch die Kraft, eine Augenbraue zu heben, und Annabellas Vater Florio (Wolfgang Bott) geht vor allem mundfaul und breitbeinig unter seiner ausgestopften Wampe spazieren.

Nur die Dienerschaft hat sich gemäß der berühmten Herr-Knecht- Dialektik einen gewissen Realitätsgehalt erkämpft: Pedro Sobisch in seiner doppelten Dienerrolle ist vor allem als Poggio eine konkret furzende und niesende Knechtsfigur, und Putana (Charlotte Ullrich), die Amme Annabellas (warum eigentlich »putana«: hat sie Annabella das Hurensein mit der Milch eingegeben?), ist eine quasselig-wollbestrumpfte lebendig-runde Person. Vielleicht könnte man zwischen Poggio und ihr eine Liebesgeschichte ausspinnen, da käme sicherlich handfestes Leben vor die einfache Nesselwand. Nicht schlecht auch Hippolita (Gudrun Herbold) in ihrer Liebesklage und ihrem Racheansinnen, das zur unfreiwilligen Selbstvergiftung führt; wunderbar Annabella (Verena Volkhardt), deren unverkrampfte Direktheit dieses ganze irre Männertheater zusammenhält.

Janina Mendroch hat sie in schöne Kostümkombinationen aus Aktualität und Historie gesteckt, von den Dramaturgen Corinna Krüger und Rüdiger Bering wurde eine witzige, John Fords Zeit in zahlreichen Anekdoten evozierende Programmzeitung 'The Elizabethan‘ zusammengestellt.

Das Dumme ist nur, daß man diesem Theater das Theater um des Theaters willen anmerkt. Der Betrieb ist betriebsam aufrechterhalten, weder Verspieltheit noch ein provozierender Ansatz täuschen darüber hinweg. Off-Theater als Pendant zur Ku'damm-Komödie, wobei sich die ironischen Brüche auf angelutschte Lutscher als Liebesgabe oder auf Kindertorten zum Fest beschränken, als Hinweis auf die Kinderschuhe, in denen die Off-Schauspielkunst aufgrund der ökonomischen Zwänge so häufig steckt? Michaela Ott

Donnerstag bis Montag um 20.30 Uhr im Ensemble-Theater, Hasenheide 54, noch bis Ende Januar.

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