KOMMENTAR: Hast du das verdient, Marlene?
■ Aus Angst vor Wahl-Konsequenzen sagt der Berliner Senat eine Toten-Hommage ab
Hast du das verdient, Marlene? Aus Angst vor Wahl-Konsequenzen sagt der Berliner Senat eine Toten-Hommage ab
Was hat diese Frau denn für Berlin getan? Als hier Not und Elend herrschten, lebte sie im Ausland in Saus und Braus“, meckern diverse Leserbriefschreiber in der Springer- Postille 'BZ‘ über die tote Marlene Dietrich, die am Samstag in ihrer Geburtsstadt begraben werden soll. Viel zuviel „Aufwand“ für eine solche „Vaterlandsverräterin“, motzen Besucher des dafür vorgesehenen Friedenauer Friedhofs. „Es gefällt mir nicht, wenn jemand sein Vaterland verleugnet“, miesepetert die Schauspielerin Evelyn Künneke. Es ist unübersehbar: Gegen die feierliche Beerdigung der Filmdiva, die weiland eine Rückkehr nach Nazi-Deutschland ablehnte und sich dort erst wieder 1945 in der Uniform der US-Armee zeigte, formt sich von dumpfem Nationalismus getragener Volkszorn. Marlene: Unvergessen. Im miesesten und nachtragendsten Sinne.
Und just in dieser Situation storniert der Berliner Senat eine geplante Hommage unter dem Titel „Adieu Marlene“ mit rund 600 geladenen Ehrengästen, die im Fernsehen live übertragen werden sollte. Offizielle Begründung: Viele prominente WeggefährtInnen Marlenes hätten aus Altersgründen abgesagt. Andere aber hatten ihr Kommen angekündigt: Horst Buchholz, Maximilian Schell und wie sie alle heißen. Auch wenn bei der Absage der Gedenkfeier schlechte Vorbereitung und organisatorische Pannen eine Rolle gespielt haben mögen, weist einiges darauf hin, daß der Senat wegen möglicher Stimmengewinne der Rechtsradikalen bei den Bezirkswahlen am 24. Mai einknickte.
Ja wo sind wir denn hier gelandet? Ist dieses posthume Beleidigen eines Weltstars nun die neue vielversprechende Taktik im Kampf gegen die Reps und andere Dumpfhirne? Werden demnächst einen Monat vor Wahlen alle Dietrich-Filme und überhaupt alle Anti-NS-Filme aus dem Fernsehprogramm verbannt? Völker dieser Welt, nehmt den früheren Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter beim Wort und schaut auf diese Stadt — und lacht euch kaputt über dieses lächerliche, peinliche, beschämende Schauspiel. Da will ein Volk Weltstadt spielen und benimmt sich wie in Hinterfotzingen, da will ein Senat eine europäische Metropole vorführen und läßt sich zum Metropopel machen, der an den Sarg geschmiert wird. Auch wenn nun noch eine „Ersatzfeier“ organisiert werden sollte — der Eindruck ist nicht mehr wegzukriegen, daß der Weltbürgerin und Antifaschistin statt der letzten Ehre der letzte Arschtritt verpaßt wird. Ute Scheub
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