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ZUR LEINEHasso Harmlos oder:

■ Der gute Wille und das Gesetz

Laut Bundesgerichtshof dürfen Kommunen jetzt einen Leinenzwang für Hunde verordnen. Bei Verstoß drohen bis zu 1.000 Mark Buße. Freilaufende Hund seien nicht nur eine »Gefahrenquelle im Straßenverkehr«, sondern könnten auch Menschen »verletzen, beschmutzen oder erschrecken«. Ob Berlins 160.000 Hunde bald dran sind, muß der Senat noch entscheiden. Die taz hetzt einen Hundeangsthasen und eine antiautoritäre Halterin aufeinander.

PRO Es ist immer das gleiche. Ich habe gerade vor, die Straßenseite zu wechseln, da dringt das Tier schon leinenlos schnüffelnd, geifernd, bellend, Zähne fletschend in meine persönliche Bio-Bannmeile ein, und schon tönt es: Der tut nichts, der will nur spielen, der beißt nicht, der leckt bloß, der ist noch jung, der freut sich so, Sie zu sehen, Kinder mag er besonders gern. — Der reine Hohn. Denn ich habe Angst und will, daß dieser stadtneurotische Kacker diszipliniert an der Seite seines Halters bleibt. Da nützt auch das Wissen nichts, daß jährlich genügend HundebesitzerInnen von ihren treuen Kameraden zerfleischt werden. Was da zu meinen Füßen, Knien, Hüften herangejagt kommt, ist kein mit viel Liebe und Auslauf aufgezogener Kirchentags- oder Latschdemo-Köter, sondern eine abgewetzte Waffe für den Existenzkampf im Moloch, ein verfettetes Statussymbol, ein verzogener Seelentröster. Solange eine Neuköllnerin, deren Lieblinge mich gerade umkreisen, mich frühmorgens anbrüllen darf: »Machen Sie mit Ihrer Angst nicht meine Hunde nervös, Sie Idiot«, bin ich für Leinenzwang. Schon im Interesse der Tölen. Denn wenn Blut fließt, werden die Vierbeiner eingeschläfert — und nicht die Besitzer. Hans-H. Kotte

CONTRA Der Leinenzwang wird brave Omas und wilde Hausbesetzer in einer historischen Koalition auf die Barrikaden treiben. Radikaler als beim Mauerbau: Denn wir sind endlich frei, und unsere Hunde sollen an Ketten! Leinenzwang niemals! Das ist Tierquälerei und menschenfeindlich. Er löst nicht das Problem der bissigen Hunde und verkackten Straßen, sondern er schafft es erst. Angeleinte Hunde koten am Ende der Schnur (also auf dem Bürgersteig!), kein Besitzer kraucht mit Leine und Tier ins Gebüsch und läßt sich drin verwickeln. Angeleinte Hunde sind neurotisch, kennen die Hundesprache nicht und interpretieren die Körpersignale ihrer Genossen falsch. Statt zu knurren, beißen sie gleich. Und ihre Besitzer wollen sie ohne Anlaß verteidigen. Jeder Yorkshire denkt, er wäre ein Kampfhund. Leinenzwang macht nur Tierärzte fett und Versicherungen arm. HundebesitzerInnen, die ihre Bellos anleinen müssen, werden ungesellig. Statt sich über Fiffi und die Weltlage auszulassen, lösen sie verwickelte Leinen oder gehen sich ganz aus dem Weg. Das fördert die Vereinsamung und versaut die Atmosphäre im Kiez. Schickt Sachverständige nach Kassel! Die Spießerstadt beschloß vor Jahren den Leinenzwang und ist kläglich gescheitert. Inzwischen verweigern sich die umgeschulten Politessen und kümmern sich lieber wieder um die in vollem Unrechtsbewußtsein handelnden Falschparker. Anita Kugler

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