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Hasse die Tat, nicht den Täter, sagt ein Sprichwort

Monika H. war die erste, die sich öffentlich und sogar im Fernsehen dazu bekannte, Stasispitzel gewesen zu sein. Ihre Tätigkeit war von einiger Brisanz, sie gehörte zum engeren Kreis der Ostberliner Initiative Frieden und Menschenrechte und konnte dadurch genauestens über die Aktivitäten einer der wichtigsten Oppositionsgruppen der damaligen DDR berichten. Auch galt sie als Vertraute Bärbel Bohleys sowie Gerd und Ulrike Poppes. Monika H. war Überzeugungstäterin; aufgewachsen in einem Kinderheim, war die Stasi für sie Familienersatz. Den folgenden Brief über die „Arbeit des Verzeihens“ an die ehemalige Stasifrau dokumentieren wir aus der Stasi- Sonderbeilage der Wochenzeitung 'die andere‘.die Redaktion

Die Strafe sühnt nicht,

Vergebung löscht nicht aus,

Getanes wird nicht ungetan gemacht.

Damit, daß jemand etwas vergißt,

ist bei weitem nicht erwiesen,

daß etwas nicht mehr ist...

Eine Tat zeigt ihre Konsequenzen,

Im Menschen und außer dem Menschen,

gleichgültig, ob sie als bestraft,

„gesühnt“, „vergeben“ und ausgelöscht gilt.

Zum neuen Jahr habe ich Dir diesen Spruch eines deutschen Philosphen geschickt. Er trifft das Problem, das jetzt vor mir und Dir steht nach unseren vielen Gesprächen über den Anteil Deiner Schuld. Du hast für sie gespitzelt, mich und andere belogen, verraten.

Du möchtest Verzeihung. Das kann ich verstehen. Aber ich kann nicht vergessen, und vor allem, ich will nicht vergessen.

Du sagst heute, Du hättest doch alles getan — jetzt —, was Du tun konntest, hast alles gesagt, wir haben es aufgeschrieben, sogar Dein verheultes Gesicht im Fernsehen gezeigt, um wiedergutzumachen, um beizutragen zur Aufarbeitung unserer gemeinsamen Vergangenheit. Nun möchtest Du Hilfe auch von mir, Schutz gegen die Anfeindungen Deiner Nachbarn und Kollegen oder Deinen ehemaligen Freunden, die sich betrogen fühlen.

Liebe und Verständnis, die Du Dein Leben lang so sehr suchtest, findest Du auch heute nicht. Dir schlagen Haß und Verachtung entgegen, und Dein eigenes Gewissen quält Dich unentwegt. Was Du von mir und wenigen anderen bekommst, ist der Wille zu verstehen, zuzuhören, Dich zu begleiten. Wir sprachen viel über Bewältigung der Vergangenheit, über Schuldgefühle, über die Angst, die Scham. Deine Scham zu sehen, war für mich der Anfang von Vergebung. Ich bin nicht religiös, aber ich denke, Abbitte tun, um Verzeihung bitten sollte eine wirklich harte Arbeit sein, kein kurzer Prozeß. Ein buddhistisches Wort hat mir geholfen, zu verstehen, warum es mir so schwer fällt, Dir einfach zu verzeihen. Es heißt: Hasse die Tat, nicht den Täter! Das ist mehr als: Liebe deinen Nächsten.

Ja, ich hasse und verachte, was Du in ihrem Auftrag, unter ihrer Anleitung getan hast. Ich sehe Dich, eine Täterin gegen uns, ein Opfer von jenen, die sich Deiner bedienten.

Wer fragt heute nach ihnen? Deinem Führungsoffizier Detlef Jäger ist sicher bis heute kein Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Tätigkeit ins Haus geflattert — so wie Dir. Er hat sich ja auch nicht in die Öffentlichkeit begeben, keine Schuld eingestanden, keine Scham gezeigt.

Du wirst wahrscheinlich Deine Arbeit verlieren. Der Öffentliche Dienst wird gesäubert von Stasis, sofern bekannt. Herr Jäger dagegen hat sich längst bei einem großen Konzern beworben, als Spezialist in Sachen Sicherheit und Ordnung, oder er hat selber eine Firma gegründet.

Ich verstehe Deine Verzweiflung über diese Art von Gerechtigkeit. Eine Forderung des Herbstes war, Stasis in die Produktion. Nun sollen sie keine Briefe mehr austeilen, keine Kühlschränke mehr ausfahren dürfen oder Fahrkarten nicht mehr knipsen dürfen.

Das ist absurd, wo wir alle wissen, daß nicht wenige auch gegen unsere Proteste als Lehrer zugelassen oder Rechtsanwälte wurden oder gar nach wie vor Politiker sind.

Neues Unrecht geschieht mit rechtsstaatlichen Mitteln. Den Opfern wird Wiedergutmachung verweigert, Täter bleiben im Schatten, einige wenige gehen ins Licht und werden exemplarisch bestraft — vielleicht.

Aufdeckung und Ächtung der Taten ist die Chance, damit der Schoß nicht fruchtbar bleibt, aus dem das kroch. Irena Kukutz

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