Hartz IV in der Reformwerkstatt: Existenzangst bekämpfen
SPD-Vertreter und Experten diskutieren am Sonntag über Hartz-IV-Reformen und einen Vorschlag: Wer lange gearbeitet hat, soll mehr bekommen.
„Wir wollen prüfen, ob Arbeitnehmer nach 30 Beitragsjahren nicht mehr in Hartz IV fallen, sondern eine Regelung ähnlich der alten Arbeitslosenhilfe erhalten können“, sagte Daniela Kolbe, ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Ausschusses Arbeit und Soziales, der taz. Kolbe tritt zusammen mit anderen Parteienvertretern und Sozialexperten auf dem öffentlichen Kongress „Debattencamp“ der SPD am Wochenende in Berlin auf. Die Forderung nach einer teilweisen Wiederbelebung der alten Arbeitslosenhilfe steht auch in einem Impulspapier ostdeutscher Bundestagsabgeordneter und Spitzenpolitiker vom Oktober.
Auch die stellvertretende SPD-Chefin Manuela Schwesig hatte bereits erklärt, Menschen, die nach 30 Jahren im Beruf arbeitslos werden, dürften nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs „nicht in Hartz IV fallen, sondern müssen besser gestellt werden“. Der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker, der ebenfalls auf dem Debattencamp auftritt, sagte der taz, er befürworte eine neue „Zwischenebene“ zwischen dem Bezug des Arbeitslosengeldes und Hartz IV, ein „Arbeitslosengeld Plus“ für langjährige Versicherte, das einkommensabhängig sei. Langjährig Beschäftigte sollten gegen Ende ihres Arbeitslebens nicht „in Existenzangst“ fallen müssen.
Abgrenzung nach unten
Vor der Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 bekamen Erwerbslose, genau wie heute, erst eine Zeit lang das einkommensabhängige Arbeitslosengeld. Darauf folgte dann die zeitlich unbegrenzte Arbeitslosenhilfe, die bei Kinderlosen 53 Prozent, bei Vätern oder Müttern 57 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens betrug. Auch bei der Arbeitslosenhilfe wurde allerdings zuletzt das Einkommen eines Partners angerechnet und das Vermögen war nur bis zu einer bestimmten Schongrenze freigestellt.
Dennoch markierte die Arbeitslosenhilfe durch ihre Einkommensabhängigkeit eine bedeutsame Grenze zur damaligen Sozialhilfe: Nur wer zuvor länger gearbeitet und Arbeitslosengeld bezogen hatte, besaß einen Anspruch auf diese Leistung und unterschied sich damit von Sozialhilfeempfängern. Diese Abgrenzung nach unten wurde durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe bei der Einführung von Hartz IV eingeebnet.
Keine Sanktionen bei Terminversäumnissen
Kolbe sprach sich auch dafür aus, ein „Recht auf Arbeit“ für Hartz-IV-Empfänger zu prüfen. Dies würde bedeuten, dass jeder ein Recht auf eine bezahlte Arbeit hätte, möglicherweise auch einen geförderten Job bei einem kommunalen Träger, sagte Kolbe.
Weitere Reformvorschläge betreffen die Bedingungen von und die Leistung Hartz IV selbst. Die automatischen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bei sogenannten Meldeversäumnissen müssten abgeschafft werden, sagte Kolbe. Diskutiert wird auch eine Namensänderung des Begriffes „Hartz IV“. Im Behördendeutsch heisst die Leistung ohnehin „Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Die FDP hatte früher schon den Begriff „Bürgergeld“ für eine andere Art der Grundsicherung vorgeschlagen.
„Wir arbeiten an einem neuen Konzept und damit ist Hartz IV passé – als Name und als System“, hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bereits angekündigt. Die Kandidatin für den CDU-Vorsitz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, hatte allerdings dem Sender RTL erklärt, sie „fände es viel spannender, sich Gedanken darüber zu machen, wie kriegen wir die Menschen aus Hartz IV heraus, als sich Gedanken darüber zu machen, wie soll das System vielleicht anders heißen, anders gestaltet werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen