: Harte Trauer-Arbeit
■ betr.: "Unbeschreibliche Hartnäckigkeit", taz vom 17.4.90, sowie Leserbrief dazu: "Altlinker 'Produktivkraftfetischismus" vom 20.4.90
Betr.: „Unbeschreibliche Hartnäckigkeit“ (Jo Müller zu Alfred-Sohn-Rethel), taz v. 17.4. sowie Leserbriefe dazu: „Altlinker 'Produktivkraftfetischismus'“'v. 20.4.90
Die bequeme Mythenbildung ersetzt die harte Trauerarbeit.
Die Marktgesetze des Publikationsgeschäfts verbieten es offensichtlich, zu schweigen, wenn man nichts zu sagen hat, auch wenn es um Nachrufe geht - und so bleibt nur die schnelle Reaktion: Der Routienier entnimmt den längst vorgefertigten Nachruf dem Nadeldrucker, der Realist wartet ein wenig und kompiliert sein Werk aus Vorgefundenem - sei es genannt oder nicht.
Daß dabei, wie in Jo Müllers Nachruf Alfred Sohn-Rethel seines Bindestrichs beraubt wird oder Margret Moverie (richtig wäre: Boveri) plötzlich der Gruppe „Neu Beginnen“ zugeschlagen wird oder daß der Leserbriefschreiber, H.J. Stolz, Sohn-Rethel „bis in die achtziger Jahre“ an embryonale Formen einer Produktionsgesellschaft in der realen Aneignungsgesellschaft des Spätkapitalismus glauben läßt: was zählen schon solch kleine Nachlässigkeiten. Gerade noch, daß es peinlich wirkt, wenn die Meister der schnellen PCs mit der Beschreibung der sorgfältigen und genauen Arbeitsweise Sohn-Rethels brillieren oder wenn es ein Mann für nötig hält, die Beschreibung Sohn-Rethels (durch eine Frau) als „Frauenmann“ noch einmal aufzugreifen. Mehr als peinlich ist es allerdings, wenn H.J. Stolz den 'konkret' -Artikel über Sohn-Rethel, den Jo Müller mit Recht als „Rufmordkampagne“ bezeichnet, „differenziert“ nennt. Facit: Die Vereinnahmung Sohn-Rethels für aktuelle politische Zwecke oder zum Zweck eigener Profilierung, bekannt aus den 70er Jahren, wird ungebrochen fortgesetzt.
Dr. Carl Freytag, München
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