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Archiv-Artikel

Harte Nüsse und Streicheleinheiten

Diese Vorhaben will die große Koalition jetzt durchziehen und hofft dabei, von der Opposition nicht sonderlich gestört zu werden: Gesundheitsreform, weniger Steuern für Konzerne, Lohnuntergrenzen

Ein wesentlicher Teil der Vorhaben beschwört den Aufschwung nur

VON HANNES KOCH

Für Ulla Schmidt war es ein blöder Termin. Einerseits total wichtig für die 56-jährige ehemalige Lehrerin aus Aachen, denn sie fuhr zu ihrer Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dort trug die SPD-Gesundheitsministerin gestern vor, wie sie sich die große Reform bei den Krankenkassen vorstellt. Schmidt möchte unter anderem erreichen, dass die Wohlhabenden in den Privatkassen einen Zuschuss zur gesetzlichen Versicherung der normalen Beschäftigten leisten. Andererseits: Der noch viel wichtigere Termin findet morgen statt – und da muss Ulla Schmidt fehlen. Denn Physikerin Merkel hat, um das soziale Experiment der Gesundheitsreform aufzubauen, nur die wirklich wichtigen Leute eingeladen: die Partei- und Fraktionschefs von Sozial- und Christdemokraten.

Durch diese Personalkonstellation scheint sichergestellt, dass die sozialen Flausen, die sich immer mal wieder in Schmidts Konzepte für die Gesundheitsreform (siehe unten) einschleichen, weitestgehend getilgt werden. Bürgerversicherung, in der alle, ob arm, ob reich, in die gesetzliche Versicherung einzahlen? Ein solidarischer Gesundheitsbeitrag, der Wohlhabende stärker belastet? CDU und CSU werden das zu verhindern wissen, die SPD-Spitzen Matthias Platzeck und Franz Müntefering eher auf den nach außen gut verkaufbaren Kompromiss setzen, auch wenn der in der Sache nicht viel taugt. Um ihre Vorstellungen später wieder in die Gespräche einzubringen, wird Schmidt in den kommenden Wochen ziemlich hart arbeiten müssen.

Die Gesundheitsreform ist eines der Projekte, um die sich die große Koalition in den ersten Monaten ihrer Regierungszeit eher nicht gekümmert hat. Die wichtigen Vorhaben für dieses Jahr verschoben Merkel und Müntefering auf die Zeit nach den drei Landtagswahlen. Nun ist es so weit, nun müsste man in Berlin eigentlich mal anfangen zu regieren. Angekündigt ist neben der Gesundheitsreform auch eine Neuordnung der Steuern für Unternehmen. Diese wird darauf hinauslaufen, dass vor allem transnational tätige Konzerne weniger Abgaben zahlen sollen als bisher (siehe unten). Durch die niedrigere Steuer will Schwarz-Rot die Unternehmen davon abbringen, ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern und damit den deutschen Finanzämtern vorzuenthalten. Ob die Einnahmen von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) tatsächlich steigen, ist allerdings fraglich: Jene Wissenschaftler, die die Reform vorbereiten, meinen, dass die Steuerzahlungen der Großunternehmen eher zurückgehen.

Die Reformen sind kaum ein Beitrag, die hohe Erwerbslosigkeit zu reduzieren

Harten Reformen, die auf der marktwirtschaftlichen Linie von Rot-Grün liegen, stehen aber auch Maßnahmen gegenüber, die als soziales Polster dienen. Ganz wichtig ist der SPD dabei die Einführung des Mindestlohns für Beschäftigte. Um die Zahl der arbeitenden Armen, die sich von 50 Stunden pro Woche kaum ernähren können, nicht weiter anwachsen zu lassen, soll eine Untergrenze eingezogen werden. Per Gesetz würde dann beschlossen, dass beispielsweise niemand weniger als sechs oder sieben Euro pro Stunde verdienen darf – ein Hilfsangebot an die Gewerkschaften und eine Gegenwehr der SPD gegen die Linkspartei.

Das alles freilich sind „kleine Schritte“, wie sie Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung auch angekündigt hat. Die Reformen liefern kaum einen Beitrag, um die hohe Erwerbslosigkeit zu reduzieren. Auf diesem Feld bleibt die große Koalition seltsam kraftlos. In der SPD wird zwar viel über Schweden und Finnland diskutiert – die skandinavischen Staaten haben die Arbeit ihrer Beschäftigten billig und konkurrenzfähig gemacht, indem sie die Sozialabgaben niedriger hielten als in Deutschland. Praktisch aber passiert hierzulande eher wenig. Ein wesentlicher Teil der Reformen besteht darin, den Wirtschaftsaufschwung zu beschwören, der da in diesem Jahr noch kommen soll.