: Harmonie und Hochhausvisionen im Luxusslum
Neben dem Bangkoker IWF-Weltbank-Kongreßzentrum liegt das Elendsviertel Thepprathan/ Den internationalen Besuchern wird ein Musterbeispiel vorgeführt/ Abseits des Vorführprojekts leben die Menschen in absoluter Armut ■ Aus Bangkok Sven Hansen
Verräuchert, feucht und heiß ist es. Aus den Werkstätten, die im offenen Parterre der zweistöckigen Häuser liegen, dringt Lärm. Rechts werden Blechteile für Motorräder gestanzt, links zimmern zwei Tischler ein Bettgestell. An einem qualmenden Grillstand verkauft eine magere Frau kleine Fleischspieße. Kinder spielen vor den Häusern und Hütten aus Holz und Blech. Am Morgen ist wieder ein Schauer heruntergangen. Eine erst kürzlich freigeräumte Fläche — hier müssen vorher Hütten gestanden haben — ist mit hochgestellten Paletten abgetrennt. Der matschige Boden ist mit Holzpodesten abgedeckt. Eine große blaue Plane spendet Schatten. Darunter stehen Blumenkübel, Stelltafeln voller Baupläne, Schaubilder und ein Rednerpult mit dem Emblem des Königs, das wie ein stilisiertes Tempeldach aussieht.
Die Besucher erhalten Videokassetten und farbige Hochglanzprospekte über Slums in Bangkok — auf dem Umschlag lächelnen glückliche Kinder. Das Büro für königlichen Besitz, das dem thailändischen Monarchen Bhumipol direkt untersteht, hat interessierte In- und Ausländer zum Besuch im Slum geladen. Das zehn Hektar große Gelände liegt unmittelbar neben dem luxuriösen Kongreßzentrum, in dem sich zur gleichen Zeit, vollklimatisiert, die Creme der Bänker und Finanzmanager trifft. Hier draußen, in der Schwüle, erläutert Anuporn Kashemsant, ein freundlicher Herr im khakifarbenen Anzug das Projekt. Das Klingeln seines tragbaren Telefons unterbricht immer wieder seinen Redefluß.
Seit dreißig Jahren gibt es den Slum Thepprathan — „von Gott gegebenes Land“. An die zehntausend Menschen leben hier auf dem Gelände, das dem Königlichen Büro gehört und vor 25 Jahren an eine private Immobiliengesellschaft verpachtet wurde, die es „entwickeln“ sollte. Seitdem kämpfen Thepprathans BewohnerInnen mit Demonstrationen und Mahnwachen gegen ihre Vertreibung; ihre Petition ist bis zum König vorgedrungen.
„Das war nicht immer einfach,“ sagt die fünfzigjährige Somporn Rodant, eine der FührerInnen der Slumorganisation und Vorsitzende der Kreditkooperative. „Ich habe sogar Morddrohungen erhalten und mich tagelang nicht nach Hause getraut“, erzählt die resolute Frau. Unterstützt von Nichtregierungsorganisationen haben sich die SlumbewohnerInnen und die Immobiliengesellschaft mittlerweile auf eine Landaufteilung geeinigt. Vorgesehen ist, auf einem Viertel des Geländes vier Hochhäuser zu bauen, in denen insgesamt 832 Wohungen zu je 56 Quadratmetern entstehen sollen. Weitere Wohnkomplexe sollen später auf einem Nachbargrundstück errichtet werden.
Finanziert wird dieses Projekt mit den Pachteinnahmen aus den restlichen drei Vierteln des Geländes, die das Büro für königlichen Besitz von der Immobiliengesellschaft erhält. Diese plant dort Einkaufszentren und ein neues Gebäude für die Börse. Die umgesiedelten SlumbewohnerInnen sollen pro Wohneinheit dann eine Miete von 800 Baht, rund 55 Mark, zahlen. Das ist wenig für die Wohnungen, aber viel im Vergleich zu den bisher meist mietfreien Behausungen. Die Frage, was etwa mit den kleinen Handwerksbetrieben geschieht, kann niemand beantworten. „Viele sind sich über die Auswirkungen noch nicht klar, die die neue Wohnsituation mit sich bringen wird. Die Unsicherheit ist groß,“ sagt Frau Sumporn.
Saneh Chamarik ist Vorsitzender des Bündnisses der Basisgruppen, das den Gegenkongreß zur offiziellen Bankentagung organisiert hat. Er tritt als erster ans Rednerpult. Wie der Vorsitzende des Komitees der SlumbewohnerInnen und die Projektverantwortlichen des Büros für königlichen Besitz betont er, wie stolz er auf das Projekt ist. Es ist offenbar Harmonie angesagt: der Kompromiß wird als Thailändische Tradition gefeiert. Alle reklamieren den Erfolg des Projekts für sich. Der Projektkoordinator Anuporn Kashemsant, den sein Funktelefon gerade in Ruhe läßt, räumt schließlich selbstkritisch ein, daß auch die Behörden viel gelernt hätten: Die Umsiedlungen von Slumbewohnern an den Stadtrand würden die Probleme nicht lösen, weil die Menschen dort nur selten Arbeit finden und dann doch wieder in die Stadt zurückkehren.
Schließlich erwartet die Besucher noch ein ganz besonderes Bonbon: Ein mit Musik unterlegter Videofilm der Behörde simuliert in futuristischen Computerbildern, wie die Hochhäuser und Shoppingkomplexe einmal aussehen sollen. Kleine Kinder, die Tänze vorführen und den Gästen Blumen überreichen, holen die ZuschauerInnen danach sanft in die Gegenwart zurück. Beim abschließenden Rundgang entpuppt sich Thepprathan endgültig als Luxusslum: Meist führen gepflasterte Wege zwischen den Häusern und Hütten entlang. In den Gebäuden gibt es Strom, Wasser und flimmernde Farbfernseher. Hier wohnt die obere Unterschicht. Es ist außergewöhnlich sauber, was den Verdacht nahelegt, daß hier vorher gründlich Hand angelegt wurde.
Ein Mann im grünen T-Shirt, Fahrer von Beruf, steht im Türrahmen seiner Hütte. Verschüchtert beantwortet er die Fragen des Besucherpulks. Die Mitarbeiter des Büros für königlichen Landbesitz übersetzen. Seit 20 Jahren wohne er hier, er stamme aus dem Nordosten. Das Blitzlichtgewitter und die surrenden Fernsehkameras machen die BewohnerInnen einsilbig. Auch sie wahren die Harmonie. Nur eine alte Frau antwortet auf die Frage, wovon sie denn später die Miete bezahlen wolle: das wisse sie auch nicht. „Die Zukunft wird die noch offenen Fragen regeln“, erklärt Chirayu Isarangkun, der Generaldirektor des Büros für königlichen Besitz. Er sei ganz sicher, daß das Projekt den Menschen neue Chancen biete. Eine ähnliche Lösung sei allerdings nicht für alle 1.000 Slums in der Acht-Millionen- Metropole möglich — vor allem nicht für die auf Privatgrundstücken.
Allein von 1987 bis 1990 gab es hundert größere Vertreibungen aus Slumgebieten, in denen insgesamt zwanzig Prozent von Bangkoks Bevölkerung leben. Üblicherweise haben die Häuser in den Elendsvierteln keine Betonfundamente, so wie in Thepprathan. Die Gassen sind höchstens mit Planken belegt, um bei den häufigen Regenfällen nicht knöcheltief im Schlamm zu versinken. Und in den Wellblechhütten reicht die Einrichtung nur in seltenen Fällen über ein Bettgestell, Decken und ein paar Küchengegenstände hinaus. In den Siedlungen auf den Müllkippen gibt es oft nicht einmal das.
Ein belgischer Entwicklungshelfer vermutet denn auch am Ende der Tour, daß die Leute in Thepprathan auch deshalb Glück gehabt haben, weil sie so nah am Ort der Bankentagung wohnen. Zwar seien auch für die Tagung einige Familien vertrieben worden, aber die Regierung könne sich Zwangsmaßnahmen gegen so viele hier nicht leisten. Außerdem sei für den Staat besser, sie unterstützte den Besuch in diesem Luxusslum, als daß die ausländischen Besucher sich selbst die Tour durch Bangkoks Elendsviertel aussuchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen