Hanseat im Friesennerz

Das ist es, was die Hamburger an Ole mögen: Der bleibt immer ruhig. Dem kann nichts was anhaben

AUS HAMBURG CHRISTOPH TWICKEL

Über die Elbbrücken, nach Süden. Der Weg nach Wilhelmsburg führt vorbei an schmutzigen Backstein-Mietshäusern und an Wohnburgen der städtischen Saga. „Das ist Hamburg, und die Sonne scheint nicht“ – im Radio rappen die Beginner „aus ihrem Leben im Regen“. Früher hießen sie „Absolute Beginner“, Hamburgs beste HipHop-Band sind sie noch immer. Vorbei an Spielhallen, Resterampen, Afro-Shops, Pizza-Lieferservice-Filialen und Kneipen, die „Mirko’s Bar“ heißen, oder ähnlich.

Wahlplakate säumen den Weg, je weiter man nach Süden kommt, desto mehr verschwinden die Volksparteien zugunsten der Schill-Spaltprodukte PRO-DM und PARO. Der gewesene und der amtierende Innensenator, immer im Wechsel: Schill, Nockemann, Schill, Nockemann, Schill, Nockemann … Offensichtlich ist die Peripherie ihre letzte Hoffnung.

Vor zweieinhalb Jahren holte Ronald Schill im Wahllokal Kurdamm 42,5 Prozent. Das war das Hamburger Spitzenergebnis. Und heute? Am Kurdamm öffnen Hausfrauen in Jogginghosen und weiten T-Shirts mit lustigen Sprüchen die Türen, aber nur einen Spalt. Was sie wählen? Gar nix. Politik ist Scheiße. Die versprechen alles und halten nie was. Die meisten machen gar nicht erst auf. Schill? „Der macht bloß wieder dummen Scheiß“, sagt Frührenter Meyer. Aber Ole von Beust findet er in Ordnung. „Weil er gut ist, der Mann. Weil er ruhig ist.“ Auch der Grünen-Wählerin im Haus ist der amtierende Bürgermeister „vom Auftreten her sympathisch“ und nur „von der Partei her die falsche“.

Politik ist Scheiße, aber Hamburg liebt Ole. Knapp zwei Drittel würden bei von Beust ankreuzen, wenn sie den Bürgermeister direkt wählen könnten. SPD und Grüne erwähnen bei jeder Gelegenheit, der Mann habe Schill ja erst in Amt und Würden und damit Schande über die Stadt gebracht. Nützt aber nichts. Die für Hamburgs Wähler offensichtlich so anziehende Law-and-Order-Aura ist längst auf den so gelassenen Bürgermeister übergegangen.

Und Law and Order sind sichtbar in Hamburg. In den letzten beiden Jahren hat die Stadt Polizeiaufmärsche erlebt wie zuletzt in den Tagen der Hafenstraßen-Konflikte. Nur dass ihnen kaum mehr Militanz gegenübersteht. Bekannt geworden ist der Fall der Schüler-Friedensdemonstration vom März, als vollverschalte Beamte 12- bis 16-jährige mit Tonfas durch die Straßen jagten. Die Polizeivideos zum Einsatz verschwanden ungesehen in den Archiven, weil Schill es so wollte. Nachfolger Dirk Nockemann macht es nicht anders. Erst vor vier Wochen protestierten dreitausend Menschen gegen einen Naziaufmarsch zur Wehrmachtsausstellung. Nachdem ein paar Punks während der Abschlusskundgebung Schneebälle geworfen hatten, jagte die Polizei mit sechs Wasserwerfern und Schlagstöcken die Demonstranten auseinander und hinderte die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano am Reden.

So was ist kein Thema für Ole. Denn in einem sind sich die Parteien in Hamburg einig: Auf die Polizei lassen sie nichts kommen. Brechmitteleinsatz gegen Dealer, geschlossene Jugendheime, rückhaltlose Unterstützung für die Einsatzkräfte – SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow versichert, wo er kann, seine Partei habe in jeder Hinsicht aufgeholt. In Sachen innere Sicherheit soll ihnen in Hamburg keiner mehr was vormachen.

Auf dem Weg zum Hauptbahnhof säumen Ole-Plakate den Weg. Konsequent. Fair. Engagiert. Konsequent. Fair. Engagiert … Bei jedem Adjektiv guckt er einen Tick anders, bei „konsequent“ ein wenig konsequenter, bei „fair“ ein bisschen fairer, bei „engagiert“ einen Hauch engagierter. Aber eigentlich guckt er immer gleich. Denn das ist es, was die Hamburger an Ole mögen: Der bleibt immer ruhig. Dem kann nichts was anhaben. Der ist wie ein Friesennerz, läuft alles an ihm runter, der ganze Schmutz.

Etwa 150 Meter südlich vom Hauptbahnhof, allein stehend zwischen Gleisen und Schnellstraße liegt das „Wüstenrot-Haus“. Im November hat hier das Beratungs- und Gesundheitszentrum St. Georg aufgemacht, hier sind Drogenhilfeeinrichtungen hergezogen, die früher im Stadtteil verteilt lagen. Konsumraum, betreute Notunterkunft, medizinische Versorgung, Akupunktur, Beratung – das Wüstenrot-Haus ist das All-inclusive-Paket der Hamburger Drogenhilfe. Draußen im Schneeregen drängeln sich etwa hundert zerzauste Gestalten an der Eingangstür. Im Schutz des Hauses machen sie ihre kleinen Deals.

Vor zwei Jahren im Wahlkampf drückten sie sich noch an den Containern vis-à-vis vom Bahnhof herum, in denen damals der Druckraum „Drob Inn“ lag. Die Junkies vor den Containern – das war damals das Fernsehbild zum Thema innere Sicherheit. „Immer die hundert Leute, immer die Kamera drauf“, erinnert sich Drob-Inn-Leiter Peter Möller. Heute kommt kein Kameramann mehr. Das Wüstenrot-Haus liegt außer Sichtweite von Schlemmermeile und Wandelhalle, und die Polizei hat die offene Szene aus dem Stadtteil gedrängt. Nach Harburg, nach Wilhelmsburg, in Wohnungen, in Hotelzimmer. Hauptsache weg vom Bahnhof, der Visitenkarte der Stadt. Weniger Drogenhandel gibt es dadurch zwar nicht. Aber „ordnungspolitisch“ sei das für die Regierung wohl als Erfolg zu werten, meint Möller. „Wo kein Kläger, da kein Täter.“

„Wir haben“, hatte von Beust in der Bürgerschaft eine Woche nach der Entlassung Schills erklärt, „inzwischen um den Hauptbahnhof herum die höchste Polizeidichte in Europa.“ Als wäre nichts herrlicher an Hamburg.

Am Hansaplatz, einst Drogentreff Nummer eins im Stadtteil St. Georg, hat zumindest der offene Dosenbierkonsum wenig an Beliebtheit verloren. Ein paar bleiche Figuren mit gehetztem Blick streifen über den Platz und wenden sich wortlos ab, wenn man sie fragt, wie sie Ole finden. „Er hat zwar Kriminalität teilweise bekämpft“, sagt die rothaarige Frau, die an der Ecke auf Kunden wartet, „aber Arbeitsplätze hat er nicht geschaffen.“ Zumal, Kriminalität hätte sie hier gar nicht so gesehen. Nur das bisschen Dealen.

Hier am Hansaplatz – zwischen dem Homo-Viertel an der Langen Reihe und der „Islamisten-Hochburg“ am Steindamm – besitzt Ole eine Wohnung. Und in der wohnt sein guter alter Freund Roger Kusch zur Miete. Das weiß man spätestens seit der legendären Pressekonferenz im vorigen August, auf der Schill von Geräuschen stammelte, die auf „Liebesakte“ zwischen dem Bürgermeister und dem Justizsenator hindeuten.

Das Haus ist schön, weiße Fassade, Stuck, hohe Decken. Außer Kusch leben hier noch der Jungschauspieler Robert Stadlober und Altmusiker Cat Stevens, wenn er in Hamburg ist. Stadlober schätzt wahrscheinlich die Nähe zum Schauspielhaus, Cat Stevens, der jetzt Yusuf Islam heißt, wohl die Nähe zur nächsten Moschee. Und Kusch kann hier einem bizarren Hobby nachgehen, von dem die Hamburger Morgenpost im vergangenen Sommer berichtete: Immer wenn er beobachtete, wie Dealer und Drogenkonsumenten auf dem Hansaplatz Geschäfte machten, alarmierte der Justizsenator die Polizei. Um sich danach wieder ans Fenster zu setzen, und auf den Peterwagen zu warten. Wenn der Peterwagen nicht kam, rief Kusch noch mal an.

Mitten auf der Reeperbahn liegt Harald’s Hotel und am Tresen der Bar sitzt ein rotblonder Junge. Ole? Nee, bloß nicht. Mit der CDU will er nichts zu tun haben. Bis zum vergangenen Spätsommer war die plüschige, holzvertäfelte Herberge, in der immer ein paar Jungs auf Gäste warten, eigentlich nur in Homo-Stadtführern erwähnt. Dann kam Schill mit seiner „Homo-Erpressung“ (Bild), und plötzlich füllte sich der Kiez mit Reportern, die nach Kompromittierendem suchten. Die üble Nachrede vom Verhältnis zwischen Bürgermeister und Justizsenator konnten sie nicht erhärten – also nahmen sie Haralds Geschichte. 1999 hatte die Polizei in einem seiner Zimmer nämlich einen pädophilen Kanadier mit einem 15-Jährigen erwischt. Und der Hotelier hatte, um seine Seriosität zu unterstreichen, den Kriminalbeamten damals sieben Namen prominenter Hamburger genannt, die angeblich Gäste des Hauses seien, wie der Spiegel schrieb.

Oles Name sei auch dabei gewesen, sagte der Rechtsanwalt des Kanadiers Uwe Maeffert. Kurz nachdem der Anwalt Einsicht in die Ermittlungsakte genommen hatte, wurden die Namen der mutmaßlichen Harald-Gäste geschwärzt – was „absolut unüblich“ sei, so Maeffert. Es sei „unwahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft von selbst so feinfühlig gewesen ist“. Nun ist es keineswegs verboten, in Harald’s Hotel zu verkehren. Nur wurde Ole eben seinerzeit als „eingefleischter Junggeselle“ vermarktet. Das schmutzige Wort „schwul“ wird bis heute gemieden. Der Junge am Tresen hat Ole jedenfalls noch nicht gesehen. Er arbeitet auch erst seit zwei Wochen hier. „Alles Quatsch“, sagt der Barmann und zwinkert, als ob er sagen wollte: Das hat der Chef sich doch aus den Fingern gesogen.

Kiezgeschichten. Alles Quatsch. Alles Schmutz. Und Hamburg ist „schmuddelig“ und „abgefuckt“ genug, wie die Beginner rappen, da braucht man einen Bürgermeister, an dem der Schmutz abprallt wie Sturmregen an den Pötten bei Blohm & Voss. Auf der Fahrt von St. Pauli zu den Landungsbrücken, vorbei an SPD-Plakaten, auf denen Thomas Mirow mit Kindern posiert und Kita-Plätze verspricht, läuft wieder die Hamburg-Hommage der HipHopper im Radio. „Statt unsympathisch, jung-dynamisch wie Friedrich Merz“, rappen sie, „ist hier alles laid back, relaxed und friesisch herb.“ Da haben sie wohl Recht: So ein agiler Besserwisser wie der Merz, der würde in Hamburg nichts werden. Einer wie Ole schon. Der kann die Klappe halten, der tätschelt keine Kinderköpfe. Der fährt, wann immer er kann nach Sylt, damit er Teint bekommt. Und das finden sie gut hier in Hamburg.