Hans-Peter Strenge über sanfte Konfliktlösungen: "Man muss doch akzeptieren"
Hans-Peter Strenge wuchs in den 50er-Jahren als uneheliches Kind auf und weiß, was es heißt, ausgegrenzt zu werden.
taz: Herr Strenge, lieben Sie Formalitäten und Strukturen?
Hans-Peter Strenge: Sie sind wichtig und als Verwaltungsjurist kann ich mit ihnen umgehen. Aber lieben ist sicher ein zu starkes Wort.
Vor Kurzem hat das Kirchenparlament der neuen Nordkirche seinen Präses gewählt. Ihr Konkurrent um den Posten, der grüne Politiker Andreas Tietze, gewann mit der Ansage, er stehe für Inhalte, nicht für Strukturen. Das ging gegen Sie.
Wir mussten die Strukturen für die neue Kirche in Gang setzen, die Fusion vorbereiten. Das ist immer einhergegangen mit Inhalten, denn es ist auch eine inhaltliche Frage, wenn wir entscheiden, welchen arbeitsrechtlichen Weg wir in der Nordkirche einschlagen – ob wir mit oder ohne klassischen Tarifvertrag arbeiten wollen. Jetzt wären auch unter meiner Leitung wieder mehr geistliche Inhalte dran gewesen.
64, auf Nordstrand geboren und in Hamburg bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Er besuchte in St. Peter-Ording das Internat, studierte in Hamburg und Freiburg Jura und wurde Verwaltungsbeamter.
Von 1984 bis 1995 war der SPD-Mann Strenge Bezirksamtsleiter in Hamburg-Altona, anschließend Staatsrat in der Justizbehörde.
Von 2003 bis 2012 war Strenge Präsident der Synode der Nordelbischen Kirche.
Pfingsten 2012 ging dann aus Nordelbischer Kirche, der Landeskirche Mecklenburg und Pommerscher Kirche die Nordkirche hervor. Strenge hatte diese Fusion als nordelbischer Synodenpräsident vorangetrieben. Gedankt wurde es ihm nicht, er unterlag dem grünen Landtagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein, Andreas Tietze, bei der Wahl zum Präses der neuen Nordkirche. DKU
Wie erklären Sie sich Ihre Niederlage?
Das war etwas überraschend – auch für mich. Aber es gibt ja 50 Prozent neue Mitglieder in der Synode. Und man ist ja nicht dabei, wenn der andere Bewerber seine Bewerbungsrede hält. Ich habe gehört, dass er Aufbruch verkündet hat und so. Außerdem kam er von der Westküste und es gab schon immer einen gewissen Gegensatz zwischen Stadt und Land in unserer Kirche.
Im Vergleich zur Stadtpolitik stelle ich mir Kirchenpolitik recht freundlich vor. Ist das so?
Natürlich gibt es in der Kirche auch Machtgerangel. Das hat was mit Stadt und Land, das hat was mit der selbstbewussten Ebene der Pröpste zu tun. In der Synode wird mit offenem Visier gekämpft, das nicht so gut sichtbare Gerangel um Macht und Geld findet in den Ausschüssen statt.
Warum engagieren Sie sich in der Kirche?
Mein Großvater ist Pastor in Ostfriesland gewesen und ich habe von meiner Großmutter und meinen Tanten viel Religiöses mitbekommen. Es war selbstverständlich, dass man sich in der kirchlichen Jugendarbeit betätigt. Aber ich bin dann schnell auf ein eher politisches Gleis gekommen. Über die Kontakte als Bezirksamtsleiter in Hamburg-Altona bin ich in die Kirchenkreissynode von Altona gekommen und in den Aufsichtsrat des hiesigen Diakonischen Werks. Später hat man mich gefragt, ob ich Synodenpräsident der nordelbischen Kirche werden möchte. Das wollte ich.
Sie sind ein nicht eheliches Kind einer Pastorentochter und haben mal erzählt, dass Ihre Großmutter Sie zunächst nicht richtig angenommen hat. Da hätte es auch gut sein können, dass Sie nichts mit der Kirche zu tun haben wollen.
Es ist natürlich nicht so einfach, wenn eine unverheiratete evangelische Pfarrerstochter 1948 mit einem Kind von einem katholischen Biologie-Studenten aufkreuzt. Aber diese Schwierigkeiten mit meiner Großmutter spielten sich eher in der Kleinkind- und Kindphase ab, später war das kein Thema mehr. Aber das alles führte dazu, dass ich in bestimmten Phasen als Oberschüler eine gewisse Distanz zur Kirche hatte. Nicht als Kind, nicht im Konfirmandenunterricht, erst gegen Ende des Gymnasiums. Aber diese Distanz ist nicht geblieben.
Wie war es, in den 1950er-Jahren ein uneheliches Kind zu sein?
Im Internat, in dem ich zu meiner Oberschulzeit war, gab es Sprüche und Bemerkungen. Es kam vor, dass man zu mir sagte: „Du bist ja unehrlich.“ Die Leute wussten nicht, dass es unehelich hätte heißen müssen. Auch von den Nachbarn gab es Häme.
Inwiefern hat Sie das geprägt?
Ich habe früh gelernt, selbstständig zu werden, zu kochen oder auch Dinge zu reparieren. Zu Hause wurde man nicht bedient. Das gab den Anreiz, weiterkommen zu wollen, sich nicht hängen zu lassen und sich anzustrengen. Und es hat auch dafür gesorgt, dass man nicht abhebt, wenn man über gesellschaftliche Fragen mitzuentscheiden hat. Man weiß immer, wo man herkommt, und engagiert sich auch für diejenigen, die etwas mehr am Rande stehen. Dafür gab es ja in meiner Zeit als Bezirksamtsleiter in Altona jede Menge gute Gelegenheiten.
Zum Beispiel?
Wir hatten auf einem Platz Punker und Minderheiten, die nicht wohlgelitten waren. Ich habe dafür gekämpft, sie nicht einfach zu vertreiben. Ich denke an die Unterbringung von ausländischen Mitbürgern, die Anfang der 90er-Jahre zuströmten. Wir mussten Leute in den wohlhabenden Stadtteilen davon überzeugen, dass Menschen in der Nachbarschaft in neu zu bauenden Pavillon- und Container-Dörfern unterzubringen sind. Das hat viel Gegenwind gegeben. Es hilft, wenn man da einen klaren Kompass hat.
Sie haben oft auf sanfte Lösungen gesetzt, zum Beispiel auch im Umgang mit Bauwagen-Gruppen in Ihrem Bezirk. Hatten Sie nie die Idee, mal durchzugreifen, wie es anderenorts in Hamburg auch Sozialdemokraten taten?
Natürlich gab es in der SPD in den 70er-Jahren auch viele, die eher wie Hardliner reagiert haben. Nur es nützt ja alles nicht, wenn es Menschen gibt, die sich für ein Leben im Bauwagen entscheiden. Man kann natürlich sagen: Das ist nicht zulässig, die vertreiben wir. Aber man muss doch akzeptieren, dass es verschiedene Lebensentwürfe gibt in verschiedenen Lebensphasen. Wenn man selbst aus etwas unorthodoxen Verhältnissen kommt, sagt man sich: Die Leute immer wieder zu vertreiben, ist Quatsch. Auf der anderen Seite habe ich immer gesagt, dass es nicht geht, dass leere Flächen besetzt werden und nicht genutzt werden können, wenn es tatsächlich mit Bauarbeiten losgehen soll.
Haben Sie etwas mal mit Gewalt lösen müssen?
Wir haben ein- oder zweimal in der Bezirksversammlung die Besucher rauswerfen lassen müssen, weil sie Büsche in den Sitzungssaal warfen und ganz viel Remmidemmi machten. Und einmal wurde mir in einer aufgeregten öffentlichen Plandiskussion Prügel angedroht. Da kamen zwei oder drei Herren auf mich zu und haben sich vor mir aufgebaut, da hätte nicht mehr viel gefehlt. Eine Peterwagenbesatzung hat mich nach Hause gebracht.
Sonst gab es keine Probleme bei Demonstrationen?
Nein. Es gab aber eine witzige Situation beim Besuch einer Bezirkssenatorin, als das Musicaltheater Neue Flora gebaut wurde. Da gab es eine unheimlich hitzige Demonstration von Autonomen – das war beängstigend. Dann kam ein Polizist in Zivil zu mir und sagte: Herr Strenge, die Hälfte der Demonstranten sind unsere Leute.
Später wurden Sie Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde – und mussten gehen, als die CDU zusammen mit der FDP und der Schill-Partei die Wahl gewann. Wie sind Sie damit umgegangen?
Die damals neue Regierung war das komplette Gegenprogramm dessen, wofür ich stehe. Das war natürlich schon enttäuschend, aber so ist das in einer Demokratie. Als ich aus dem Amt als Staatsrat in den Ruhestand versetzt wurde, war ich 53 Jahre alt und bin ich erst mal in ein Loch gefallen. Ich hatte einen Pensionärsschock. Als ich irgendwann vormittags ins Schwimmbad fuhr, hat meine Frau gesagt: „Das hast du deinen ganzen Lebtag nicht gemacht. Jetzt ist Schluss.“ Da habe ich angefangen, den Senat bei Projekten zu unterstützen, habe Verwaltungsrecht unterrichtet und mich weiter in der Kirche engagiert.
Sie sind kein Mitglied des Synodenpräsidiums mehr. Werden Sie jetzt ein richtiger Ruheständler?
Das liegt mir fern. In der Kirche ist genug zu tun und auch in der Erwachsenenbildung und im Geschichtsverein. Außerdem habe ich noch einen Sitz im Obergremium von Arte, da hat mich der NDR reingewählt – bei dem ich früher als Kirchenvertreter Rundfunkrat war. Das wird mir viel Spaß machen. Noch ist nicht die Zeit, in weißen Schuhen um die Alster zu gehen.
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