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Handlungsloses Leben

■ In „Das goldene Vakuum“ sucht Ingvar Ambjörnsen Neuland

Merkwürdig, daß nie eine Brauerei versucht hat, Ingvar Am-björnsen als Werbeträger anzuheuern. Dabei machen die Helden seiner fast zwanzig Romane die beste Werbung für Gerstensaft. Indem sie ihn trinken - ununterbrochen und literweise. Zumindest bisher. Der Erzähler von Das goldene Vakuum, Ambjörnsens neuem Roman, ist schon auf Weizen umgestiegen.

„Ich hielt mich an meine Schreibmaschine. Trank und träumte. Ich lebte in einem Vakuum“, hieß es in dem Roman Weiße Nigger (1986), der den seit acht Jahren in Hamburg lebenden norwegischen Autor weit über Skandinavien hinaus bekannt machte. Jetzt hat der 37jährige die Zustandsbeschreibung von damals zu einem Buch ausgearbeitet, das zweierlei ist: ein Angriff auf die Erwartungen seiner Fans und ein Befreiungsversuch von einem Klischee, das im Zusammenspiel von Autor und Kritikern entstanden ist.

Der Ich-Erzähler, ein Autor in der Krise, hat sich also vorgenommen, seinen Lesern „einen Torpedo in den Hintern zu knallen und sie, ohne irgendeine Form von Sicherheit und Garantien, voll in mein eigenes Chaos zu schicken“. Doch zum Schreiben kommt er vorerst nicht. In einer Yuppiekneipe am Hauptbahnhof genießt er an einem Morgen im Oktober bei genanntem Weizen die „Freiheit von den rationalen Gedankengängen“ und läßt sein Leben an sich vorbeiziehen wie die Wolken über dem Hauptbahnhof.

Der Dialog, den er dort mit sich selbst führt, schwimmt zwischen Erinnerung und Vision. So träumt er von einem „handlungslosen Leben ohne Verantwortung“ und sucht gleichzeitig Distanz - zu seiner Vergangenheit, zu den Speedabhängigen. Für letztere gilt Am-björnsen als Spezialist.

Zufall, daß er vor einem Jahr von St. Georg an die Hoheluft umgezogen ist? Der Autor versichert es glaubhaft. Noch immer besuche er den Stadtteil, „dem ich etwas widerwillig mein Herz geschenkt hatte“ (Viktor von Falk in Die mechanische Frau), da er an der Grindelallee einen echten Ersatz für seine Stammkneipe „Nagel“ nicht gefunden habe.

Im fliegenden Wechsel führt die Reise im Kopf des Erzählers von der Bahnhofsbar zu einem schäbigen Hotelzimmer in Amsterdam, wo „Ich“ sein Ohr einem Pastor der dänischen Seemannskirche leiht, der den Glauben ans Böse verloren hat. Und zu einer psychiatrischen Anstalt, in der er einst den Zusammenprall verschiedener „Wirklichkeitsauffassungen von Irren und Gesunden“ erlebte. Und am Ende zurück in die „gesegnete, verrottete Stadt Hamburg“.

Auf der Suche nach dem rätselhaften Ding, genannt Wirklichkeit, kombiniert Ambjörnsen essayistische Passagen, die manchmal etwas angestrengt wirken, mit anekdotischen Einschüben, die sein besonderes Talent neuerlich zeigen: bissig und drastisch, schnodderig und komisch zu erzählen.

Ingvar Ambjörnsen: „Das goldene Vakuum“. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Edition Nautilus, Hamburg 1993, 128 Seiten, 26 Mark. Reinhard Helling

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