Hamburgs politische Zukunft: Links? Rechts? Geradeaus?
Der Volksentscheid über die Schulreform am 18. Juli könnte das Ende von Schwarz-Grün bedeuten, den Abschied von Ole von Beust und vorgezogene Neuwahlen.
Bisweilen ist das Ungesagte wichtiger als das Gesagte in politisch brisanten Tagen wie diesen. Die Politik in Hamburg steht vor einer Nagelprobe mit ungewissem Ausgang. Der Volksentscheid über die Primarschulreform am 18. Juli hat eine Reihe von Risiken - bis hin zu vorgezogenen Neuwahlen.
Es ist mehr als zweifelhaft, ob Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erneut als Spitzenkandidat antreten wird, sei es zum regulären Termin Ende Februar 2012 oder früher. Bezeichnend dafür sind drei ungewöhnliche Formulierungen auf dem CDU-Parteitag am Sonnabend.
Er wolle dazu beitragen, sagte der neue Parteichef Frank Schira in seiner Rede, "dass in Hamburg auch nach 2012 ein CDU-Bürgermeister regiert". Bislang lautete die Wortwahl in solchen Fällen: "unser CDU-Bürgermeister Ole von Beust regiert". Der antwortete kurz darauf, die SPD solle besser nicht auf Neuwahlen hoffen: "20 Monate dauert das noch." Ausdrücklich nicht sagte er, dass er dann noch Bürgermeister und Spitzenkandidat sein werde. Und Schira fügte nach seiner Wahl im kleinen Kreis auf Fragen von Journalisten hinzu, er habe sich über die Spitzenkandidatur 2012 "noch keine Gedanken gemacht".
Bei Politikern, die oft so langweilig reden, weil sie ihre Worte auf Goldwaagen legen, sind solche Formulierungen eher ungewöhnlich. Es sei denn, sie werfen absichtlich Steinchen ins Wasser und schauen mal, ob und welche Wellen das schlägt.
Nur kleine Wellen wird es geben, wenn das Volk am 18. Juli die Primarschulreform billigt. Dann regiert Schwarz-Grün weiter bis Februar 2012. Etwa ein Jahr vorher wird von Beust erklären, ob er weitermacht oder das Zepter an einen seiner Kronprinzen weiterreicht: An Schira oder dessen Konkurrenten, Innensenator Christoph Ahlhaus. Sollte die Schulreform jedoch gekippt werden, sind mehrere stürmische Szenarien mit gewaltigen Brechern möglich.
Als eher unwahrscheinlich gilt nach Informationen der taz, dass die grüne Schulsenatorin und Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch zurücktritt. Das würde die Koalition in schwere Seenot bringen, wahrscheinlich von Beust mitreißen und somit das Ende von Schwarz-Grün bedeuten.
Einen sofortigen Wechsel zu Rot-Grün-Rot schließen alle Beteiligten aus. Das wäre nur eine Option nach Neuwahlen, wenn zuvor SPD, GAL und Die Linke ihre jeweiligen Nein-Positionen aus dem Wahlkampf 2008 über Bord würfen. Eher würde Schwarz-Grün noch stärker als bislang das Mantra bemühen, dass ein Volksentscheid über eine "Sachfrage" keine Abstimmung über eine Koalition sei. Das ist eine inhaltlich korrekte, politisch aber labile Position.
Bild, und in moderaterer Form auch die anderen Springer-Blätter, fahren seit Monaten eine heftige Kampagne gegen die Schulreform. Nach einer Niederlage von Schwarz-Grün würden tagtäglich Rücktrittsforderungen erhoben. Entweder ist der Senat nach kurzer Zeit sturmreif geschossen, oder er quält sich noch eineinhalb Jahre und tritt, wenig reizvoll, als Bündnis der Verlierer vor die Wähler.
Zudem dürfte nach einem verlorenen Volksentscheid das Murren an der CDU-Basis zum Donnergrollen anwachsen. Vielen Mitgliedern gilt die Schulreform weiterhin als grüner Spinnkram, ebenfalls etliche vermissen das einst klare konservative Profil der Union. Eine dann offene Revolte gegen von Beust und auch Schira, die für die Hamburger Union als "liberale Großstadtpartei" stehen, wäre nicht auszuschließen. Der Ausgang einer solchen Revolte und ihre Auswirkungen auf die liberale Metropolen-GAL lassen sich zurzeit nur erahnen.
Für die oppositionelle SPD bedeutet das, für den Erfolg des von ihr mitbeschlossenen Schulkonsenses zu kämpfen, einen Erfolg zum Miterfolg zu machen und eine Niederlage der Regierung zuzuschieben. Sie bereitet sich auf 2012 vor. Sollte die Koalition vorzeitig zerbrechen, stünde die SPD keinesfalls anstelle der Grünen als Juniorpartner der CDU in einer Großen Koalition bereit. Die Sozialdemokraten wollen wieder stärkste Partei in Hamburg werden und mit Olaf Scholz den Bürgermeister stellen. Ob noch in diesem Jahr oder erst 2012, ist ihnen zweitrangig.
Und die GAL tut derweil fröhlich pfeifend so, als ob es beim Volksentscheid über die Primarschule nicht um ein grünes Kernthema ginge. Vorsorglich hat die Parteispitze aber schon mal eine außerordentliche Mitgliederversammlung für das erste Wochenende nach den Schulferien anberaumt. Am 21. August findet er statt, der Parteitag der Euphorie - oder des Katzenjammers.
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