Hamburgs Kunstverein wird 200 Jahre alt: Bürger fördern die Kunst

Seit dem 19. Jahrhundert gibt es sie – Vereine, die Menschen Kunstwerke zugänglich machen. Einer der ersten wird jetzt 200 Jahre alt.

Ineinander geschobene Eisschollen

1826 erstmals in Hamburg zu sehen und nun wieder: Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“ Foto: Elke Walford/Hamburger Kunsthalle

Angefangen hat es mit 30 kunstsinnigen Patriziern, Hamburger Großbürgern, die sich, teils autodidaktisch, das Zeichnen angeeignet hatten und nun selbst sammelten. Und die irgendwann nicht mehr im stillen Kämmerlein sitzen, sondern sich austauschen wollten über ihre Sammlungen.

Also begannen sich die Kaufleute, Politiker, Architekten, Ärzte 1806 regelmäßig zur Debatte zu treffen. Elitär war der Kreis, hoch der Mitgliedsbeitrag, Frauen zunächst außen vor. Beim Kaufmann David Christopher Mettlerkamp trafen sie sich, später – der Kreis wurde größer – beim Kunsthändler ­Georg Ernst Harzen.

Als sie 1817 den Kunstverein, später auch den „Gemälde-Verlosungs-Verein“ gründeten, dachte niemand daran, dass dies irgendwann in die Gründung einer staatlich finanzierten Kunsthalle münden würde. Ziel eines der ersten bürgerlichen Kunstvereine Deutschlands, dessen 200-jähriges Bestehen Hamburgs Kunsthalle derzeit mit der Schau „Die Kunst ist öffentlich“ würdigt, war schlicht die Förderung und Verbreitung aktueller Kunst.

Konkret kaufte der Verein von den Mitgliedsbeiträgen Grafiken und Gemälde und verloste sie intern. Wer keins ergatterte, erhielt ein Vereinsblatt – Grafiken nach berühmten Gemälden. Hamburgs Kunsthalle zeigt derzeit etliche solcher Blätter, die von der hochkarätigen Raffael-Reproduktion bis zu schlichten bäuerlichen Szenen reichen. Dabei ist nicht ganz klar, ob die Vereinsvorstände entschieden, dass die Mitglieder solch seichte Szenen bekommen sollten oder ob sie schlicht den Geschmack der Mitglieder bedienten.

Bildungsarbeit von Bürger zu Bürger

Jedenfalls führte diese Praxis dazu, dass sich Menschen Kunst ins Wohnzimmer hängten, die sich das bis dato nicht leisten konnten. Alle Kunstvereine – und im 19. Jahrhundert entstanden in Deutschland über 100 – handhabten das so, boten Bildungsarbeit quasi von Bürger zu Bürger. Und deren Nutznießer wurden mehr. 1848 hatte der Verein schon 467 Mitglieder, darunter 30 Frauen. Inzwischen konnte jeder beitreten, Beschlüsse wurden, inspiriert von der Märzrevolution, demokratisch von einer „Deliberations-Versammlung“ gefasst.

Die beschloss bald, das Portfolio zu erweitern und auch Gemälde zu kaufen. 1850 ertrotzte man eine „Städtische Gemälde-Galerie“. Dort gab es Verkaufsausstellungen mit oft wechselnden Exponaten. Der Zulauf war groß; die Kunst erreichte immer mehr Menschen, wurde breitenwirksamer.

Darauf zielte auch die stetige Vergrößerung der Sammlung: Man wollte ein so großes Konvolut schaffen, dass der Staat ein Gebäude finanzieren musste. Den Ausschlag gab schließlich das Testament Harzens, der seine 30.000 Grafiken der „Städtischen Galerie“ für den Fall vermachte, dass sechs Jahre nach seinem Tod ein öffentliches Kunstmuseum gegründet worden wäre. 1863 starb er. Exakt sechs Jahre später, 1869, eröffnete die Kunsthalle.

Klug durchdachte Arbeitsteilung

Was sich zunächst wie eine Selbstauflösung des Kunstvereins liest, war eine gut durchdachte Arbeitsteilung. Die Kunsthalle sollte sammeln, der Kunstverein Zeitgenossen ausstellen und im Übrigen unabhängig sein. Dass er aus Raumnot immer mal wieder in der Kunsthalle unterschlüpfte, macht die Verflechtung unübersichtlich. Deshalb begnügt sich die aktuelle Schau in der Kunsthalle damit, einige Ausstellungen nachzustellen.

Und sie macht es gut. Caspar David Friedrichs „Eismeer“, in der ersten öffentlichen Kunstvereins-Schau von 1826 zu sehen – dem Beginn systematischen Ausstellungswesens in Hamburg –, prangt da großformatig. Damals war der Romantiker einer unter vielen, als Mythos weder entdeckt noch festgeschrieben. Markant auch die „Europäische Kunst der Gegenwart“ von 1927, eine frühe paneuropäische Ausstellung, bewusst nicht nach Ländern gehängt.

Intern hat es in Deutschlands Kunstvereinen indessen oft Streit darüber gegeben, wie viel internationale Kunst zulässig sei; immer mal musste ein Direktor deswegen gehen. Hildebrand Gurlitt allerdings, seit 1931 Leiter des Hamburger Kunstvereins, wurde 1933 entlassen, weil er keine Hakenkreuz-Flagge hissen wollte. Späte handelte er, wie bekannt, im Auftrag des NS-Regimes mit „entarteter Kunst“; eine ambivalente Figur.

Natürlich sei das eine Hypothek, sagt die aktuelle Kunstvereins-Chefin Bettina Steinbrügge. „Wichtiger sind uns allerdings die Opfer des NS-Regimes. Die jüdischen Mitglieder, die gehen mussten“, sagt sie. „Wir versuchen, in naher Zukunft Stolpersteine zu legen.“

Der Hamburger Maler Heinrich Stegemann braucht zwar keinen. Aber er musste vor Gericht erscheinen, weil er die Ausstellung „Malerei und Plastik in Deutschland“ 1936 auch mit „entarteten“ Expressionisten bestückt hatte. Trotzdem: Auch die „brave“ Schau über deutsche Skulptur von 1940 lotet Grenzen aus. Klug minimalistisch zeigt die Kunsthalle anhand dreier Skulpturen den Grat zwischen NS-konformer Kunst und verhaltener Moderne: Rudolf Agricola schuf ein stämmiges Mutter-Idol, Richard Scheibe einen Athleten. Hermann Blumen­thals „Schreitender“, später als „entartet“ diffamiert, ist weit abstrakter. Noch der gleichgeschaltete Kunstverein bezog Position.

DDR-Künstler jenseits der SED-Propaganda

Grenzen hat auch Kunstvereinschef Uwe M. Schneede ausgetestet, als er 1975, mitten im Kalten Krieg, Willi Sitte zeigte, den Präsidenten des Verbands Bildender Künstler der DDR. „Da es keinen Kulturvertrag gab, hätten staatliche Museen das nicht machen können“, sagt er. „Das musste der Kunstverein als Privatinstitution tun.“ Allerdings waren Sittes Gemälde so propagandistisch, dass Schneede angefeindet wurde. Er selbst sagt, er habe DDR-Künstler jenseits der SED-Propaganda zeigen wollen und Sitte aus taktischen Gründen zuerst gewählt, um später Künstler wie Wolfgang Mattheuer zu holen.

Es war nicht Schneedes erster Skandal. Zwei Jahre zuvor hatte er den Konzeptkünstler Blinky Palermo eingeladen, die Kunstvereinswände ochsenblutrot zu streichen und ihren Grundriss in einer minimalistischen Zeichnung zu reproduzieren. Das Konzept blieb unverstanden, Besucher verlangten ihr Geld zurück.

1973 war das, als der Kunstverein in einem Flachbau neben der Kunsthalle saß. Beim Abriss 1991 für die Galerie der Gegenwart legte man Palermos Zeichnung frei und brachte sie in die Kunsthalle. Sie ist ein schöner Höhepunkt der aktuellen Schau.

Dass ausgerechnet Schneede als Kunsthallen-Chef später den Bau der Galerie der Gegenwart betreute und dem Kunstverein Konkurrenz machte, ist eine feine Ironie. Heute leben Kunstverein und Galerie der Gegenwart – in Sichtweite behaust – in friedlicher Koexistenz. Zwar kaprizieren sich beide auf aktuelle Kunst. Aber der Kunstverein ist freier von logistischen Beschränkungen. Er kann experimentieren und ganz auf einen Künstler setzen. Und auch wenn der er inzwischen Subventionen bekommt: Den Großteil dieser Freiheit finanzieren weiterhin die Vereinsmitglieder. Die Bürger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.