Hamburger „Recht auf Stadt“-Aktivistin: „Wir müssten viel mehr werden“

Mietendeckel und Enteignungen sind in Hamburg in weiter Ferne: Christina Zeh vom Netzwerk „Recht auf Stadt“ über Widerstand in Zeiten der Beton-SPD.

Am Tatort: Christina Zeh vor Häusern des Immobilienkonzerns Akelius im Schanzenviertel Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Zeh, Sie haben in Hamburg die Proteste gegen den Wohnungskonzern Akelius organisiert. Warum ist es so wichtig, dass sich Mieter*innen wehren?

Christina Zeh: Nur so kann genügend Druck aufgebaut werden. Am Beispiel der Akelius-Mieter*innen kann man das schön abbilden. Das Unternehmen treibt die Mietpreise, weil es mit Sanierungen die Mietpreisbremse aushebelt. Umso mehr sich da mobilisieren, desto mehr wird draufgeschaut. Der Rückkauf eines Akelius-Hauses auf St. Pauli durch die Stadt war auch unser Gewinn.

Zurzeit ist der Protest leiser.

Das sind immer Wellenbewegungen. Viele Kämpfe finden in Hamburg im Moment im Kleinteiligen statt. Es sind ja auch viele Kämpfe gewonnen worden.

Zum Beispiel?

Das Gängeviertel, oder die ehemalige Viktoriakaserne. Der Konflikt um die Esso-Häuser auf St. Pauli läuft im Hintergrund weiter, wo ganz viel ausgehandelt wird. Das findet nicht mehr auf der Straße statt, weil dieser Punkt überschritten wurde.

Das heißt, von außen bekommen wir einfach nicht alles mit?

Genau. Ende Oktober gibt es eine große Versammlung der Stadtteile. Das war eine Idee nach dem ersten Mieten-Move: Wir müssen die einzelnen Initiativen zusammenbringen, um auf lange Sicht einen größeren Protest hinzubekommen.

Was passiert bei der Versammlung?

Wir wollen voneinander lernen und uns vernetzen. Das ist ganz wichtig, weil viele nur in ihren Stadtteilen so vor sich hin brödeln.

Welche gemeinsamen Aktionen sind möglich?

Den Protest jedes Jahr auf die Straße zu tragen, natürlich gerne mit steigender Teilnehmer*innenzahl. Nächstes Jahr wird es Ende März einen bundesweiten, sogar transnationalen Protesttag geben. Es wäre schön, dann auch in Hamburg viele Menschen auf die Straße zu bringen.

In Berlin funktioniert das gerade ganz gut.

ist Sprecherin des Hamburger Netzwerks „Recht auf Stadt“ und der „Mieter*innen gegen Akelius“. Auch ihre Mietwohnung in Ottensen hat der Konzern aufgekauft.

Natürlich schauen wir nach Berlin, wo sie diese Massen mobilisieren. Aber anders herum schauen die Berliner*innen auch zu uns. In Hamburg gibt es Leuchtturmprojekte wie das Gängeviertel. Da fragen sie uns, wie wir da verhandelt haben.

Warum ist die Berliner Situation anders?

Ich glaube persönlich, dass Berlin auf eine ganz andere Protestkultur zurückschaut. Die Stadt ist schon immer sehr links gewesen. Die Leute sind dorthin gezogen, um Häuser zu besetzen.

Und aktuell?

Der Druck ist in Berlin viel höher, weil die Mieten innerhalb kurzer Zeit so gestiegen sind. Als es 2009 in Hamburg Proteste gab, da waren in Berlin eher noch Flächen frei. Erst in den vergangenen drei, vier Jahren ist der Druck auf die Mieter*innen so extrem gestiegen, sodass sie sich viel schneller mobilisieren lassen. Ich glaube, da ist die Schmerzgrenze in Hamburg noch nicht erreicht. Akelius hat in Hamburg 4.000 Wohnungen, in Berlin das dreifache. Das sind ganz andere Dimensionen.

Das heißt, in Hamburg ist es noch gar nicht schlimm genug?

Vielleicht. Oft frage ich mich, wo alle sind. Der Druck ist ja schon da, aber es spiegelt sich nicht in so einem großen Protest wider. Wir müssten viel schneller viel mehr werden.

Ist es schwierig, Leute zu mobilisieren?

Wir verfügen natürlich nicht über eine Werbemaschinerie. Wir müssen uns ja immer Kanäle suchen, um irgendwo anzukommen, unseren Protest zu erklären und die Leute mitzunehmen. Da bedarf es eigentlich fast Vollzeitaktivist*innen.

Wie beginnt man eine Mietervernetzung?

Erst mal ist es anstrengende Handarbeit. Als wir angefangen haben, sind wir mit Zetteln in die Akelius-Häuser rein und haben wirklich einzeln in die Briefkästen die Einladungen zu unseren Treffen verteilt. Das ist die ersten drei Mal so, bis das aus sich selbst heraus größer wird.

Wie viele Mieter*innen kommen?

Zu unserem Höhepunkt im vergangenen Herbst waren das 50 bis 60 Leute. Es kristallisiert sich dann ein fester Kern von etwa 20 Leuten heraus, und immer wieder kommen sporadisch mehr dazu. Das sind dann Wellenbewegungen.

Warum springen Teilnehmende wieder ab?

Von 60 Leuten sind mindestens 25 dabei, die eigentlich nur abladen wollen. Sie hegen vielleicht die Hoffnung, sie gehen hin und können etwas für ihre persönliche Situation tun. Dafür braucht es natürlich eher Stellen wie Mieter*innen helfen Mieter*innen. Einige bleiben deshalb leider wieder fern. Die kleinteiligen Dinge kann man in so einem großen Rahmen eben nicht behandeln, und das ist ja auch nicht das langfristige Ziel. Es geht nicht nur um die eine Hausgemeinschaft, die gerade Probleme mit Nebenkosten oder einem speziellen Sanierungsfall hat.

Worum geht es dann?

Natürlich geht es darum, sich zu solidarisieren. Aber wir wandeln das um in einen politischen Protest. Das ist eine Gratwanderung, weil es sich über Monate oder Jahre hinziehen kann, bis man kleine Erfolge sieht. Es hat natürlich nicht jeder sofort das Verständnis für so einen politischer Kampf.

Was ist das langfristige Ziel?

Dass ein Akteur wie Akelius auf dem Hamburger Wohnungsmarkt kein Bein mehr an die Erde bekommt. Ich finde, dass so ein Unternehmen keine weiteren Wohnungen mehr in dieser Stadt aufkaufen darf.

Wie kann man das erreichen?

Indem die Stadt ihr Vorkaufsrecht in Anspruch nimmt. Denn klar, wenn Privateigentümer an Akelius verkaufen wollen, ist es ihnen freigestellt. Da hat die Stadt gar keinen anderen Hebel. Wir brauchen in Hamburg dringend einen Mietendeckel. Was der Senat mit der Mietpreisbremse auf den Tisch gelegt hat, wirkt nicht.

Wie würde ein Deckel helfen?

Dann würde ein Unternehmen wie Akelius ganz schnell die Lust verlieren, weil die Renditemöglichkeit einfach nicht mehr so hoch ist. Denn letztendlich geht es genau darum. Es geht ihnen darum, so viel Profit wie möglich aus den Wohnungen zu schlagen, und mitnichten um die Mieter*innen oder um die Stadtteilkultur.

Wünschen Sie sich für Hamburg auch eine Enteignungsinitiative wie in Berlin?

Es ist eine Utopie, die man auch in Hamburg spinnen sollte, auf jeden Fall.

Wie realistisch ist das?

Sollte die Initiative in Berlin einen Erfolg verzeichnen, könnte ich mir das auch für Hamburg vorstellen. Wobei die politische Konstellation in Berlin mit Rot-Rot-Grün eine ganz andere ist. In Hamburg haben wir seit Langem diese wirtschaftsliberale Beton-SPD, die sich keinen Millimeter bewegt. Die Politik in unserer Stadt orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Bewohner*innen, sondern zielt auf die Interessen der Investoren ab.

Ist das manchmal frustrierend?

Auf jeden Fall. Nicht einmal die Grünen haben das Thema Miete in den letzten Jahren auf die Agenda gesetzt, wie wir uns das vorgestellt hatten. Der Senat spielt sich als Mietenretter auf mit seiner Baupolitik und der Mietpreisbremse.

Und öffentlicher Druck kann das ändern?

Ja. Wir prangern die Senatspolitik an. Wir sagen, ihr verkauft uns etwas, das einfach nicht stimmt. Und anders könnte es besser funktionieren. Diese ungeschönte Gegenpropaganda ist wichtig. Ohne die würde sich hier noch viel weniger bewegen.

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