piwik no script img

Hamburg ist Handball-MeisterSchluss mit Dorfsport

Der HSV Hamburg ist erstmals Deutscher Meister. Das erste Mal seit acht Jahren geht dieser Titel nicht nach Schleswig-Holstein. Damit ist besiegelt, dass der Provinzsport Handball auch großstadttauglich ist.

HSV-Trainer Martin Schwalb wird seine Haare weiterhin gelegentlich waschen - trotz dieser Handballer-Liebkosung von Boss Andreas Rudolph. Bild: dpa

HAMBURG taz | "Mama, er hat mir über den Kopf gestreichelt", sagt das Mädchen beim Verlassen der Hamburger 02-Arena. "Ich werde mir nie wieder die Haare waschen." Es bleibt unklar, welcher Spieler des HSV Hamburg ihr beim Bad in der Menge zu einem unvergesslichen Erlebnis verholfen hat. Klar ist allerdings: Das lange Warten dieser Stadt auf neue Sporthelden, das seit dem DFB-Pokalsieg der HSV-Fußballer 1987 anhält, hat seit Mittwoch um 21 Uhr 43 ein Ende.

Mit 35:30 besiegten die Hamburger in eigener Halle den VfL Gummersbach und sicherten sich schon drei Spieltage vor Saisonschluss den deutschen Meistertitel. Damit könnte der Verein sich eigentlich wieder auflösen, denn der Gründungszweck ist mit dem Gewinn des bedeutsamsten Titels im Vereinshandball erfüllt.

Der Rückblick in die Gründungsgeschichte führt aus Hamburg hinaus, an die Ostsee. Ende der 90er Jahre gab es in Schleswig-Holstein entlang der Ostsee drei Bundesliga-Vereine: Die SG Flensburg-Handewitt, den THW Kiel und den VfL Bad Schwartau.

Als der Lübecker Vorort-Klub in Finanznot geriet, ging er eine Spielgemeinschaft mit dem frisch gegründeten Handballsportverein (HSV) Lübeck ein.

Doch der damalige HSV-Patron Winfried Klimek strebte nach Höherem. In Hamburg war 2002 gerade die Color Line Arena fertiggestellt und Klimek verpflanzte seinen Verein inklusive der Bundesliga-Lizenz des VfL Bad Schwartau sechzig Kilometer landeinwärts.

Der Handballsportverein Hamburg war geboren und sollte es als erster Verein schaffen, den einst als "Dorfsport" belächelten Handball in einer Großstadt zur Blüte zu führen. Mit den Namensvettern vom Fußball hatte der Retortenclub von vornherein nicht mehr gemein als Abkürzung und Logo, die er laut einer Marketingvereinbarung nutzen darf.

Bereits zwei Jahre später drohte durch dubioses Finanzgebaren, ausstehende Gehälter und Mietschulden das Aus. Klimek wurde verhaftet und der Medizinunternehmer Andreas Rudolph übernahm das Ruder. Seine erklärtes Ziel: bis 2010 mindestens einmal die deutsche Meisterschaft gewinnen.

Seitdem hat er rund 25 Millionen Euro in die Mannschaft gepumpt und sie kontinuierlich zu einer Weltauswahl ausgebaut, die einmal den Europacup und zweimal den deutschen Pokal holte und die SG Flensburg-Handewitt längst abgehängt hat. Nur der THW Kiel erwies sich bislang als resistent genug und behielt die Meisterschale Jahr für Jahr an der Förde.

Seit Mittwoch ist auch diese Bastion gefallen. Schon vor dem Anpfiff lagen Trikots mit der Aufschrift "Wir sind die Nummer 1" auf allen 13.200 Sitzschalen. Wäre Schleswig-Holsteins CDU-Spitzenkandidat Christian von Bötticher in der Halle gewesen, hätte er neue Nahrung für seine kürzlich geäußerte Klage bekommen, dass Hamburg gegenüber seinem Land "auf dem hohen Ross" sitze.

Nun beraubt die Hansestadt Schleswig-Holstein auch noch der letzten Vormachtstellung. Es wird ihn auch nicht trösten, dass die besten HSVer mit Marvin Lijewski und Blazenko Lackovic wieder einmal zwei ehemalige Flensburger waren.

Für das Unternehmen Titelverteidigung wechseln demnächst mit Dan Beutler sowie Vater und Sohn Carlén auch noch der Torwart, der Halbrechte und der ehemalige Trainer von der Förde an die Elbe.

Der eigentliche Star des neuen Meisters ist seine Halle. Nirgendwo anders haben Event-Designer im Verbund mit den Fanvorsängern und -trompetern ihre optischen und akustischen Animationstechniken so perfektioniert, dass sie fast auf Knopfdruck das gewünschte Unterstützungsprogramm liefern können.

Wenn 26.400 Hände im Gleichklang aufeinander schlagen wie im "Blauen Bock" ist die Gegenwehr schnell gebrochen.

"Ihr seid alle Deutsche Meister, ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen", bedankte sich der gerade in Bier geduschte Trainer Martin Schwalb bei den Fans.

Zuerst in der Fankurve, und dann später auf dem Außenbalkon der Arena, wo er mit der Mannschaft schon für den großen Auftritt auf dem Rathausbalkon probte, der nach Saisonschluss Angang Juni noch folgt.

Letztes Jahr, nach dem Pokalsieg, hatten sich 2.000 Fans auf dem Rathausplatz unter dem Balkon verloren. In diesem Jahr werden es sicher erheblich mehr sein, egal wie der HSV beim Final-Four Turnier der Champions League Ende Mai in Köln abschneidet.

Das Gros der Hamburger sähe trotzdem lieber Guerrero statt Gille dort oben, aber die balltretenden Rautenträger haben sie auch in dieser Saison wieder enttäuscht und werden schon zum 24. Mal in Folge im Frühjahr nicht ins Rathaus eingeladen.

Dafür könnten die HSV-Fußballer vom kleinen Nachbarn lernen, wie Kontinuität zum Erfolg führt: Mit den Brüdern Bertrand und Guillaume Gille, Pascal Hens und Torsten Jansen sind vier tragende Säulen seit fast zehn Jahren in der Mannschaft. Und Trainer Martin Schwalb, der in die Geschäftsführung wechselt, bekam immerhin sechs Versuche, den Titel zu holen.

Dabei sah es mehr als einmal so aus, als würde der ungeduldige Rudolph ihn vorzeitig vom Hof jagen. Doch er wusste genau: einen besseren Mann gibt es nicht. Martin Schwalb hat mit seinem authentischen Auftreten großen Anteil daran, dass der HSV sein "Plastik"-Image hinter sich gelassen hat.

Jetzt erholt sich die Mannschaft erst einmal vier Tage auf der Finca von Andreas Rudolph auf Mallorca. Auf dessen Kosten. Das Zeitalter des Feudalismus muss der HSV Handball erst noch überwinden. Die angekündigte Abdankung von Rudolph als Präsident ist ein erster Schritt. Als Mäzen wird er bis auf weiteres weiter gebraucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!