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Haltung, nicht Mode

Innensichten von musikalischen Außenseitern: Das Taktlos-Festival als Buch  ■ Von Christian Broecking

Taktlos – das sind doch die, die kein Benehmen haben. Die Unruhe in den Laden bringen. „Minderheiten“. Also die anderen. Also wir.

Wir? Die Geschichte beginnt eigentlich woanders. Gegenkultur Schweiz, 1984: Fabrikjazz, Impro und Kulturwerkstatt Kaserne sind Namen, die mit Gruppierungen verbunden sind, die wiederum in Zürich, Bern und Basel für ein Veranstaltungsmodell stehen, das als Taktlos-Festival in die Kulturgeschichte drängt – mit Musik, die kaum einer hören und fast keiner bezahlen wollte. Musik von Leuten wie Eugene Chadbourne und John Zorn, von Shelley Hirsch und Lindsay Cooper, aber auch von Heiner Goebbels oder Irene Schweizer.

Zum zehnten Geburtstag präsentiert sich Taktlos nun im griffigen Überblick zwischen Heterogenität und Grenzüberschreitung – als Buch. Texte, die im Laufe der Jahre vornehmlich in der Taktloszeitung, die in Zusammenarbeit mit der Züricher Wochenzeitung (WOZ) alljährlich das Festival wortreich dokumentiert, erschienen, wurden von den Herausgebern Patrik Landolt und Ruedi Wyss zu einem bebilderten Buch montiert. In Form von Gesprächen, Reportagen, Exkursen und Diskursivem sucht man sich Menschen zu nähern, die sogenannte Außenseiter-Musik machen. Menschen, die sich heimatlos wähnen, prophetische Geltungsansprüche melden und manchmal auch über sich selber lachen – ob soviel Außenseitertums an den wegbrechenden Rändern, dort, wo das Neue passiert.

Dort, wo Arbeit, frei nach Schiller, Spielen bedeutet und Spielen noch Spaß macht – wie Fred Frith bestätigt, der ebendas an John Cage und Frank Zappa lobt: Humor. Musik muß ja nicht todernst sein. Sie sollte aber etwas zu tun haben mit der Art und Weise, in der das eigene Leben sich an besagten Rändern abspielt – profane Kunst als minoritärer Zeitkommentar, kämpferisch und community-orientiert. Anti-Apathie und Anti-Apartheid bezeichnen in diesem System eine Haltung, nicht eine Mode. Die lachenden Außenseiter blühen in den erkämpften Nischen der Alternativkultur, wie die Herausgeber emphatisch betonen, der Mief anderer Welten vermag ihre Kunst nicht mehr zu ersticken.

David Moss zum Beispiel, der als Jazzmusiker begann und unbedingt wie Elvin Jones klingen wollte. Doch die Konfrontation mit der eigenen Mittelmäßigkeit bleibt keinem Musiker erspart, der Identität sucht – und eine Idee findet, die vielleicht zum Stil taugen könnte. Mehr als hundert Objekte türmt David Moss gelegentlich um sich herum auf, wenn er sein Gurgeln, Stöhnen und Japsen durch Schläge auf Plastik, Holz und Metall sichtbar macht. Performance als Weg zum Ich, Innovation als Lebenshaltung und immer wieder Spaß sind seine Stichworte – Tom Jones meets James Brown.

Anderes Beispiel: Eugene Chadbourne, der Kritikermusiker. Ethnische Musik nimmt man am besten auf den Arm, kommentiert er seine Platte „Country Music in the World of Islam, Vol. XV“. Die Soli im Jazz seien zu lang und Country-Protest Protest gegen die USA mit Gitarre und Gesang – weißer Humor der mißverständlichen Art, den er am besten in Holland verstanden wähnt, da sie dort besser Englisch lernen als daheim in den Staaten.

„Speak white!“ lautet in Montreal die Aufforderung an Frankophone, wenn man ihnen höflich zu verstehen geben will, sie sollen gefälligst Englisch sprechen. René Lussier und Jean Derome sind Québec-Separatisten, Bastarde mit einem sloppy Akzent (wie sie selbst sagen), Leute, die ihre Musik als „semi-populaire“ begreifen. „Volksmusik“ als musikalisches Erbe und Kampfansage an die Gegenwart, dagegen gesetzt die regionale Tradition. Die alte Gewohnheit, mit den Füßen den Rhythmus zur Fidel zu stampfen, ist bei ihnen ins Detail transformiert: ein Tappen auf die electric feet – einen kleinen Pickup auf dem Bühnenboden. An sowas freuen sich Leute, die arbeiten und auch so aussehen, die riskante Musik spielen – keinen Jazz, sondern musique actuelle. Leute wie Lussier und Derome eben.

Noch nicht genug des Irisierens an den Rändern? Die trivialmusikalische Grundlagenforschung des Schweizers Stephan Wittwer bezeichnet der Künstler selbst als etwas grundsätzlich Sinnloses; die Hardcore Crossover Gruppe GOD scheint ihre selbstbeschauliche Kompromißlosigkeit aus der angenommenen Kulturlosigkeit ihrer britischen Inselheimat zu schöpfen; und von der griechisch- amerikanischen Diamanda Galas erfährt man, daß sie in der Tradition der Schrei-Oper das Extreme sucht. Der Frankfurter Heiner Goebbels faßt einstweilen zusammen: „Eine Musik, die kein Publikum hat, oder eine Platte, die sich nicht verkauft, ist ja noch nicht deswegen, weil sie nichtkommerziell ist, fortschrittlich oder antikapitalistisch.“ Keine Zeit für Personalstile und keine Avantgarde in Sicht – soweit zu den Proben an den Rändern.

„Europäischer Wirrwarr“ – so bezeichnen die lachenden Außenseiter-Chronisten ihren Rückgriff auf ein Vierteljahrhundert europäischen Jazz (in ihrer respektvoll taktlosen Art). Doch in den Binnenstrukturen der Beiträge kursieren noch weitere Begriffe. „Jazzdissidenten“ nennt Bert Noglik jene Musiker, die sich in der Folge des europäischen Free Jazz heute als außerhalb des Jazz definieren: ihre Selbstfindung, die Entwicklung zur eigenständigen Kunstszene zwischen europäischer Moderne, Volksmusik und Punk ging einher mit der Institutionalisierung einer unübersichtlichen Cliquenwirtschaft im Kampf um Subventionen und Spielstätten.

Jazzleute schätzen die frei improvisierte Musik am wenigsten, weiß Derek Bailey, wenn er auf das alte Problem des labelling (frei übersetzt: des Findens von Schubladen) zu sprechen kommt. „Frei“ ist eigentlich auch schon anders besetzt, bleibt ihm noch der „Improvisator“. In England, so Bailey, gebe es gar Städte, wo man von einer Art einheimischer improvisierter Musik sprechen kann: Sheffield, Leeds, Leicester zum Beispiel. Frei improvisierte Musik will das Publikum nicht in eine andere Welt versetzen, ist nicht sweet, nur sour, hat keine verführerische Seite, kann nicht vermarktet werden. Punkt.

Derek Bailey, der stolz darauf ist, aus der Arbeiterklasse zu kommen, behauptet, keine reaktionären Leute in der Szene zu kennen, die meisten seien Linke. Weiter sagt er, daß er lieber jede Art von Musik machen würde als Milch austragen, auch wenn seine Kunst total ausgestoßen ist, auch wenn die etablierte Kultur zunehmend reaktionär wird – oder gerade deshalb. Das ganz hohe Lied des musikalischen Außenseiters, und ihr Resümee: Geld machen könne man in der etablierten nur durch Abkehr von der improvisierten Musikwelt.

Peter Brötzmann dagegen tönt wohltuend mit den Werten des alten Westlers, der er ist, wenn er klarstellt: „Es gibt keinen deutschen Jazz, und es gibt auch keine europäische improvisierte Musik ..., das Spannende an der Jazzmusik ist, daß sie sich nie auf nationale Grenzen beschränken ließ.“ Und was heißt das konkret? Reden wir Tacheles: Das Jazzleben ist ein hartes Scheißleben, 23 Stunden unterwegs für eine Konzertstunde, selten einen festen Wohnsitz und ständig pleite; aber nicht zu spielen schürt den Wahnsinn – oder Suff.

Er habe nichts gelernt, könne eigentlich auch nichts, gesteht Brötzmann, aber wenn er etwas spielen wolle, arbeite er dran. Älter werde man – und könne sich dennoch mit Leuten der neuen Generationen in England oder in den USA auseinandersetzen. Was zutrifft: Barry Guy konnte es einst nicht fassen, daß man mit einem Saxophon soviel Lärm machen kann, wie Brötzmann es tat. Harter Jazz der Deutschen – „tank music“ – gegen sich endlos drehende Klänge aus England – „washing machine music“ –, erinnert sich Guy an die Anfänge. Willem Breuker kontert, die Musik werde demnächst brutaler, extremer, auch weniger kommunikativ vielleicht. Er hasse den Gestus der Prätention: Pssst, wir machen Kunst.

Man versteht: Sich verrennen, aufeinanderprallen, das Zerdrücken eines Joghurtbechers in total verdunkelten Räumen, um ein Uhr mittags mit dem Fahrrad den Broadway runterfahren – Außenseitertum hat einen Klang. Bloß versteht man ihn nicht immer. Ist eine unvollendete Sinfonie für acht Hörner, acht Trompeten, zehn Posaunen und zwei Dutzend explosive Bomben „Männermusik“? Ist New-Age-Musik mehr als musikalisches Toilettenpapier? Geht eine Musikerin lieber in eine gemischte oder in die Frauen-Sauna? Warum sind so wenig Jazzmusiker schwul? Und warum sind frei improvisierende Musikerinnen meist lesbisch? War Dexter Gordon nun ein Faschist oder ist Werner Lüdi beschädigt? Und wie eigentlich genau ist New York?

Immerhin: (fast) alle Fragen werden in diesem Sampler beantwortet, und Patrik Landolts Reportage über den Blues in der Bronx gehört zu den Highlights dieses ungewöhnlichen Buches voller Innensichten lachender Außenseiter.

Landolt, Patrik und Ruedi Wyss (Hg.): Die lachenden Außenseiter, Rotpunktverlag Zürich 1993,

381 Seiten, 48 DM.

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