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Haltlos schräge Puddingvarianten

■ Leonid Lipawskis blutig-poetischer Zitter-Gelee im monsun theater

Es gibt ihn in drei Farben und Geschmacksrichtungen, er führt ein scheinbar selbstständiges Leben, und um ihn lieben zu können, bedarf es einer Orientierung an den kulinarischen Interessen von Manfred Krug als Anwalt Liebling oder denen eines Grundschülers. Wie sich andere Teilnehmer der Spezies Mensch für den Gruselpudding, im Volksmund kumpelhaft „Wackelpeter“ gerufen, enthusiasmieren können, muss wohl als ungelöstes Rätsel in die Annalen eingehen.

Beruhigend ist da doch einzig, dass sich schon in den 20er Jahren jemand um „Das schreckliche Zittern von Gelee“ sorgte. Der russische Literaturdozent und Philosoph Leonid Lipawski gehörte seinerzeit zu einem literarischen Zirkel um den Schriftsteller Daniil Charms und damit zur Avantgarde. Angestachelt von den zu intellektuellen Spielchen abgedrehten Diskussionsrunden, widmete sich Lipawski in seinen Schriften ganz der Interaktion von Banalität und Absurdem. Folgerichtig sinnierte er so auch über die Daseinsform Wa-ckelpudding. Gedanken allerdings, die bis vor eineinhalb Jahren niemand zu drucken bereit war.

Nun hat der Regisseur Evgeni Mestetchkin von der Einfachen Bühne eigens einen Übersetzer engagiert, um Lipawskis Textfragmente – denn zu einer vollständigen Abhandlung über zum Beispiel die Perzeptionsvarianten von Pudding im Allgemeinen kam es nie – ins Deutsche zu übertragen. Die Adaption für die Bühne ist, so der Regisseur, eine Welturaufführung, die es ab morgen im monsuntheater zu sehen gibt.

In den Fragmenten entdeckte Mestetchkin dann Bezüge zum Dialogmuster der klassischen philosophischen Schule, weshalb sich nun zwei Schauspielerinnen als Lehrerin und Schülerin die Paradoxien Lipawskis zuwerfen. Deren Verlockung besteht in einem beständigen Aufbauen von Logik, die, kaum erfasst und nachvollzogen, genauso regelmäßig der Dekonstruktion zum Opfer fällt. Vom Publikum erfordert derlei mindestens den Willen, sich auf mancherlei haltlose Schrägheiten einzulassen.

Doch ohne Risiko geht's nicht; davon ist Mestetchkin überzeugt. Daher hat er sich auch von vornherein für eine Textvorlage entschieden, „die sehr weit weg vom Theater liegt“. Hilfestellung für Lipawskis Melange aus Poesie, Zynismus und Blut bieten jedoch die Subtexte. Wer schon vorbereitend die Frage erörtern möchte, was eigentlich schrecklich ist, genieße mit gebürendem Ekel einen Happen Glibberpudding. Liv Heidbüchel

Premiere: Freitag, 13. Oktober; weitere Vorstellungen: 14., 15., 19.-22., 29. Oktober, monsun theater, 20 Uhr

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