STANDBILD: Halleluja, ja, es ist vollbracht
■ "Musikanten sind da", ARD, Samstag, 20.15 Uhr
Die Fernsehansagerin des soeben unwiderruflich auf ARD gemühlfenzelten Deutschen Fernsehfunks bricht vor der Tagesschaukamera in Tränen aus: Abschied, zittert es aus ihrem Mund, das sei „wie sterben“. Und unterdessen rüsten sich im Fernsehturm am Alexanderplatz die Leichenfledderer (West) und Sargträger (Ost), um diesen „tollen“, diesen „besonderen Tag“ (Annette, Ost) zu feiern. „Mhmm“, nickt Denesz Törsz aus West und zerrt ein frohgemut lachendes Moderatorenpaar vors Mikrofon, „die Monika und den Klaus-Dieter“, die gleich gesamtdeutsch überrollend den Anfang machen dürfen mit dem, was am Ex-DFF als ein erhaltenswerter Beitrag zum nun vereinigten Programm gilt: „Musikanten sind da“ — ein „volkstümliches Adventskonzert“ aus Cottbus. Dauer: zwei volle Stunden, und gnadenlos bricht dieser Sangesabend von der gnadenreichen Zeit über das Publikum herein.
„Vorfreude schönste Freude“, verkündet, militärisch knapp, das Schriftbild. Schneeflöckchen rieseln sacht, der Blick aufs Bühnenbild wird weit, und siehe: Die Zeitmaschine der Medien- und Computerära katapultiert uns in eine Vorvergangenheit, die es schon immer nie gegeben hat. Es klappert ein Mühlrad am rauschenden Bach, verschneite Wegweiser führen zum „Rosengarten“, zur „Forstschenke“ und in den „Mühlengrund“; erzgebirglich Geschnitztes dreht sich im Kerzenschein, Nußknacker und Weihnachtsmänner lagern in den Regalen und, oh, guck mal: ein Pferdeschlitten vom Nikolaus mit einer Lok aus Blech und vielen, bunten Päckchen. „Kinder, Kinder, es ist Winter“, jubelt der Leipziger Rundfunkkinderchor, und Patrick Lindner will nicht zurückstehen, will „singa a Liadlö“ zum Playback. Oh ja, „ihr Laitle frait aich alle, die Weihnachtszeit is kumma, vargaßt all Gram und Laid.“
Ach, Arzgebirg, du Inbegriff von Weihnacht, endlich dürfen auch wir im Westen uns am braunkarierten Hausschuhwunder freuen und an den handgeschnitzten Krippen. Da: Klaus-Dieter führt uns in eine „Hutzelstub“, wo sich drei schwerverwelkte Damen mit betonierter Dauerwelle am „Klöppelsack“ zu schaffen machen und umstandslos ausbrechen in Gesumm zur Zithermusik von Joachim Süß...er die Glocken nie klingen und „alles ist frohgemut, denn Weihnachten tut uns so gut.“ „Kommet, ihr Hirten, ihr Männer und Frau'n“, doch endlich kommt ein kleines Mädchen hinter dem Styropor-Forsthaus hervor und singt: „Mami tut plötzlich ganz geheimnisvoll, und Papi holt die Säge raus“. Ach, wer möchte da nicht Papi sein? Aber gekniffen wird nicht, auch wenn sich grade ein besonders verkniffen blickendes kleines Scheusal im Nikolausschlitten breit gemacht hat und „Mama“ ansingt: „Auf olle meine Frong möcht i gern a Antwort hom. I hoff, i du di net zvui plong.“ Nein, „Klein-Alexandra“, nur du dust uns net plong, denn jetzt kommen zwei Dickwänste hereingesprungen und singen: „Ich fohr Abbräschi“, während sich das Moderatorenpaar zum Singen fertigmacht: „Weihnacht ist da, parapapampam, laßt keinen einsam sein, parapapampam.“
Doch all das ist nur Vorspiel zum Finale: Heino tastet sich hinter dem Mühlenrad hervor und baut sich zum Ave Maria auf. Alles, was Räder und Lampen hat im Bühnenbild, bewegt sich, flackert, die Schneemaschine ächzt — „ora pro nobis“ — Musik schwillt auf und „Aaamen“ orgelt es aus Heino, während ein Insert auf seiner Brust aufleuchtet: „Die Sendung Mary entfällt“. Gottes Sohn ist da, halleluja, ja, es ist vollbracht! Wir sind ein einig Volk mit einem Sprung in einer Schüssel. Gemeinsam haben wir ein Rad ab. Da hilft's auch nicht, daß unter den Kameraleuten des Adventskonzerts ein Mann mit Namen Felgentreu am Wirken war. Sybille Simon-Zülch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen