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Haiti: 90 Voodoo

■ Zahlreiche Priester der afrokaribischen Kultur gelyncht / Papa Doc und Baby Doc nutzten Voodoo für ihre Machterhaltung

Aus Haiti Rita Neubauer

Max Beauvoir ist ein vielbeschäftigter und vorsichtiger Mann. Der Oberpriester der Voodoo–Vereinigung ATI in der haitianischen Hauptstadt Port–au–Prince lebt hinter hohen Mauern. Fremde werden erst nach Augenschein durch einen Wächter auf das herrschaftliche Anwesen gebeten. Im Arbeitszimmer erwartet sie dann neben allerlei okkulten Gegenständen für Voodoo–Zeremonien ein Computer. Max Beauvoir, ganz in Weiß gekleidet und von ausgesuchter Höflichkeit, erklärt gern einen Zweck dieses elektronischen Gehirns: „Hier sind alle Fälle von Verfolgung gegen unsere Anhänger seit dem Sturz Jean–Claude Duvaliers gespeichert.“ Ratternd läßt er einige Seiten ausdrucken. Titel: Lynchjustiz an Voodoo–Priestern und Priesterinnen im Norden Haitis. Insgesamt seien 1.500 Priester und Anhänger umgebracht worden. In seinem verwinkelten Haus im Vergnügungsviertel von Carrefour hat Beauvoir, dessen Großvater auch Priester war, selbst Voodoo–Zeremonien für Touristen veranstaltet. Nun ist das Peristyl, der Vorführungsort, verwaist. Denn Angst müsse man haben, so Beauvoir, Angst vor den Verfolgungen durch die katholische Kirche und die neuen Machthaber in Haiti. Weder die einen noch die anderen haben dem Voodoo–Glauben offen den Kampf angesagt. Der Haß der Haitianer richtete sich nach dem 7. Februar, dem Sturz des Diktators Duvalier, gegen jene Gruppen, die mit dem Herrscherhaus in Verbindung gebracht wurden. Das waren nicht nur die berüchtigten Sicherheitstruppen, Tontons Macoutes, sondern auch Voodoo–Priester. Denn sowohl Papa Doc, der Vater des gestürzten Jean–Claude Duvalier, als auch sein Sohn nutzten den afrikanischen Glauben für ihre Machterhaltung. Im Rahmen der „Dechoukage“, wie die Haitianer die Säuberung nennen, wurden aber nicht nur Tempel und Wohnhäuser zerstört, sondern auch Voodoo–Priester umgebracht. In einem Fall verbrannte die aufgebrachte Menge sogar ein sechsjähriges Kind bei lebendigem Leib. Voodoo–Arrangement mit der katholischen Kirche Im Gegensatz zu Max Beauvoir hat das nationale Institut für Kultur und Kunst in Port–au–Prince rund 75 Fälle von getöteten Priestern dokumentiert. Max Paul, Ethnologe und Institutsleiter: „Diese Zahl kann auch doppelt so hoch sein.“ Er macht auch nicht allein katholische Priester für die Verfolgung verantwortlich: „Die katholische Kirche versuchte jahrhundertelang Voodoo als heidnischen Glauben auszurotten. Sie hat es nie geschafft. Auch nach dem Sturz Baby Docs hetzten einzelne Geistliche die Menge auf, aber insgesamt hat sich die katholische Kirche in Haiti mit Voodoo arrangiert. Die größere Gefahr geht heute von den evangelischen Sekten aus.“ Davon gibt es in Haiti mehr als genug. Allein das Religionsmini sterium hat über 350 verschiedene registriert, wovon die meisten aus den USA stammen. Sie „kaufen“, so Paul, die Leute mit Lebensmitteln und Versprechungen auf ein besseres Leben, wenn sie die Bibel lesen. Sie setzen sie dann wegen ihres Voodoo–Glaubens unter Druck und drängen sie, ihre Voodoo–Gegenstände wegzugeben. Paul: „An der wirtschaftlichen Misere der Leute aber ändern sie gar nichts, sie predigen nur, daß alles Elend gottgewollt sei.“ Voodoo - Import aus Afrika Die Wurzeln von Voodoo liegen in Afrika. In den Jahren zwischen 1510 und 1791 verschleppten französische Kolonialherren Negersklaven von dem afrikanischen Kontinent nach Haiti. Diese brachten nicht nur ihre Sprache mit, die, mit französischen, englischen und spanischen Elementen versetzt, die Grundlage für das heute auf Haiti gesprochene Creol ist, sie „importierten“ auch ihren Glauben. Ganz zum Ärger der Kolonialherren wie auch der katholischen Kirche. Voodoo wurde offiziell immer als illegale Religion betrachtet und verfemt. „Aber“, so Max Paul, „den Haitianern ihren Glauben wegzunehmen, hieße, ihnen ihre Identität zu rauben. Denn in Voodoo finden sie ihr Gleichgewicht, ihre Harmonie, ihre Wurzeln. Zwar sind offiziell 90 Prozent Katholiken und zehn Prozent Protestanten, aber gleichzeitig glauben 100 Prozent der sieben Millionen Haitianer an Voodoo.“ Und Voodoo lebt - trotz der Verfolgungen Anfang dieses Jahres. Auf dem Land kann man nach Einbruch der Dunkelheit die Trommeln hören und bei einem der ältesten, aus dem Kongo stammenden Voodoo–Fest in Nam Soukrie, rund drei Stunden von der Hauptstadt entfernt, fühlt man sich ins tiefste Afrika versetzt. Weißgekalkte, unbewohnte Lehmhütten gruppieren sich um den Houmfort, den Tempel. Das Dorf wird nun für Voodoo–Zeremonien lebendig, und einmal im Jahr regiert für 15 Tage Trance die Besucher. Dann werden die neuen Priester, Hougans, und Priesterinnen, Mambos, geweiht. Voodoo - Kommunikation mit Gott Fremde sind weder herzlich willkommen, noch nehmen die Haitianer große Notiz von ihnen. Wer nach Nam Soukrie gelangt, kommt mit einem Führer. Er kann bleiben, wenn der oberste Voodoo–Priester mit seinem massigen, kahlen Schädel zustimmend nickt. Drei junge Priester leiten die Zeremonie. Zuerst aber wird noch Legba, der Gott, gerufen, für den im Houmfort ein mit blutrotem Samt geschmückter Altar aufgestellt ist. Ein haitianischer Bauer sitzt davor, endlos sind seine Lockungen. Vor ihm auf dem Boden flackert eine Kerze im Dämmerlicht. Sie steht auf einem in den Boden gestoßenen Dolch. Eine Flasche mit Schnaps macht die Runde. Später übernehmen Trommler die Regie. Gleaichförmig beginnen sie auf ihre Kongo– Trommeln einzuschlagen, ebenso gleichförmig erheben sie Zuschauer die Stimme. Schläfrige Übereinstimmung macht sich breit, bis plötzlich eine ganz in weiß gekleidete Frau aufspringt, sich in die Mitte des Raumes wirft, auf die Knie fällt und dort verharrt. Im Laufe der nächsten Stunden beteiligen sich immer mehr Männer und Frauen an der Zeremonie. Sie stampfen mit bloßen Füßen, während der Gesang immer dringlicher, die Trommeln immer heftiger werden. Die Menge keucht und schwitzt. Zweieinhalb Tage lang werden die Trommeln zu hören sein, unterbrochen allein von Riten und Opferungen. Stundenlang werden sie den Ton angeben, sich mit ihrem Rhythmus ins Gehirn der Zuschauer und Teilnehmer schleichen. Bis Bewußtlosigkeit, Trunkenheit und Trance die Oberhand gewinnen. Dann wird „Papa Legba“ seine Pforten für die Gläubigen öffnen und das höchste Ziel ist erreicht. Denn, so Max Beauvoir, das sei nichts anderes als in anderen Religionen auch: Kommunikation mit Gott.

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