: Hahn-Meitner-Reaktor: Baustopp aufgehoben
■ Teil der Kalten Neutronenquelle am Forschungsreaktor BER II kann sofort gebaut werden / Noch bevor Hauptsache-Verfahren gegen Reaktor-Umbau anläuft, darf das Hahn-Meitner-Institut weitere „Tatsachen schaffen“ / Enttäuschung bei Gegnern der Anlage
Die Umbauarbeiten am „Berliner Experimentier-Reaktor“ (BER II) am Hahn-Meitner-Institut (HMI) in Wannsee dürfen ohne weitere Behinderungen fortgesetzt werden. Das entschied am Donnerstag der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin unter dem Vorsitz seines Präsidenten Professor Wilke.
Das Gericht hob damit einen noch unter dem inzwischen pensionierten Vorsitzenden Richter Professor Grundei verhängten Baustoppbeschluß vom Dezember 1986 wieder auf, der sich allerdings ausschließlich auf die Einrichtung einer sogenannten „Kalten Neutronenquelle“ (KNQ) und nicht auf den Reaktorumbau selbst bezogen hatte. Mit dem OVG-Beschluß tritt ein, was Gegner des Projekts schon vor dem Gerichtstermin befürchtet hatten: Noch bevor das für den Herbst dieses Jahres vorgesehene „Hauptsache-Verfahren“ gegen den Umbau des Reaktors und den Einbau der KNQ anläuft, werden in Wannsee weitere „Tatsachen geschaffen“.
Bei der KNQ handelt es sich um eine Meßeinrichtung zur Untersuchung bestimmter Strukturen im atomaren Bereich, in der die im Reaktor produzierten Neutronen auf dafür geeignete Geschwindigkeiten abgebremst werden.
Zu dem Teil-Baustopp war es Ende 1986 gekommen, weil der Senator für Wirtschaft und Arbeit dem Reaktorumbau in einer 1.Teilgenehmigung zugestimmt hatte, ohne den Einbau der KNQ in das atomrechtliche Genehmigungsverfahren einzubeziehen. Nach einem gesonderten Genehmigungsverfahren für die KNQ schob die Senatsbehörde daraufhin eine „Nachtragsgenehmigung“ nach, die sich aus nicht vollständig geklärten Gründen nur auf die Schnittstelle des Reaktors mit der KNQ - nicht aber auf diese selbst - beschränkte und außerdem das sogenannte „vorläufige positive Gesamturteil“ für den gesamten Umbau nachreichte. Im harmonischen Zusammenspiel mit dem HMI, der Errichterfirma Interatom (die mit dem Kalkar-Brüter) und der Genehmigungsbehörde sah das OVG damit eine „neue Sachlage“ als gegeben an und hob den Baustopp mit sofortiger Wirkung auf.
Klägervertreter Wolfgang Siederer hatte während der über fünfstündigen Verhandlung am Mittwoch insbesondere die Rechtmäßigkeit der Nachtragsgenehmigung in Frage gestellt. Frühere Fehler könnten durch diese Genehmigung nicht nachträglich „geheilt“ werden. Das „vorläufige positive Gesamturteil“ gehöre bei einem gestuften Genehmigungsverfahren zwingend in die 1. Teilgenehmigung, weshalb das gesamte Verfahren neu aufgerollt werden müsse. Von der Sache her seien die möglichen Gefahren durch Wechselwirkungen zwischen Störfallabläufen im Reaktor und der KNQ in den Antragsunterlagen nicht ausreichend beleuchtet worden. Auch deshalb hätte die Nachtragsgenehmigung nicht erteilt werden dürfen, erklärte Siederer.
Das Gericht mochte sich den Argumenten Siederers und des Klägers und Reaktoranwohners Dietrich Antelmann an keiner Stelle anschließen. Die auch von den anwesenden AKW-Gegnern als „erfreulich fair“ eingestufte Verhandlungsführung des Gerichts schlug sich am Ende lediglich in einem Seitenhieb auf die Genehmigungsbehörde nieder: Die Nachtragsgenehmigung sei rechtmäßig, erklärte Gerichtspräsident Wilke, ungeachtet ihrer „mißverständlichen Formulierung“. Entsprechend groß war die Enttäuschung bei den Reaktorgegnern, die auch noch die Kosten des Verfahrens tragen müssen. „Da gibt es überhaupt keine Hoffnung mehr“, meinte eine Anwohnerin. Ein solcher Beschluß bedeute zwar immer eine gewisse „Präjudizierung“ des Hauptsache-Verfahrens, erklärte Rechtsanwalt Siederer, man wolle aber auf jeden Fall weitermachen. Die Genehmigung für die KNQ selbst und die Betriebsgenehmigung für den umgebauten Reaktor stehen noch aus.
Gerd Rosenkranz
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