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„Hätte Baldin die Bilder nicht gerettet...“

■ Der russische Rechtswissenschaftler Mark Boguslavskij über den Bilderstreit

Mark Boguslavskij zählt als Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Rußland nicht nur zu den prominentesten Rechtswissenschaftlern. Der wirtschaftspolitische Berater der Staatsduma ist zugleich Mitglied der russischen Restitutionskommission, die über die Rückgabe von Kulturgütern verhandelt. In einem Gespräch mit der taz erklärte der Professor, der sich für eine einmonatige Gastprofessur in Bremen aufhält, warum aus seiner Sicht die Bilder der Baldin-Kollektion an die Kunsthalle zurückgegeben werden könnten.

Wie kann es möglich sein, die Bilder der Baldin-Kollektion zurückzuführen?

Die rechtliche Lage der Baldiner Kollektion ist folgende: Viktor Baldin war ein Offizier, der mit den Truppen der sowjetischen Armee in dieses Städtchen in der Nähe von Berlin kam. Dort fanden seine Soldaten die Zeichungen und zeigten sie Baldin, der zu dieser Zeit schon als Maler im Regiment bekannt war. Als er diese Zeichnungen sah, verstand er, daß das wichtiges Kulturgut war, Unikate. Alles lag im Keller, teilweise sogar unter Wasser. Aber als er bei seinen Vorgesetzten um Unterstützung nachfragte, um die Zeichnungen abzutransportieren, wurde das abgelehnt, weil es keine Transportmöglichkeiten gab. Alles, was Baldin unternahm, und dafür gibt es Zeugen, hat er selbstständig unternommen. Er hat die Listen? aus den Rahmen geholt, hat von den Soldaten Listen getauscht, gegen eine Uhr, andere gegen Zigaretten. Von einer Aktzeichnung weiß man, daß er seine neuen Militärstiefel dafür eingetauscht hat. Es war ein großer Zufall, daß er diese großen Kunstwerke in Händen hielt und diese Sachen auch noch in einem Koffer nach Rußland brachte. Selbstständig.

Was bedeutet das juristisch?

Es handelte sich nicht um eine Beschlagnahmung oder den Beschluß einer Kontrollmacht oder irgendwelcher Behörden. Es war auch kein militärischer Befehl, kein normativer Akt, wie wir Juristen sagen. Faktisch hat er diese Zeichnungen gerettet. Es gibt Leute, die sagen, vom juristischen Standpunkt aus sei das keine Rettung, sondern eine Marodeurs- Handlung gewesen. Aber man muß im Prinzip doch von der Absicht der Handlung ausgehen und die war von den Behörden nicht akzeptiert oder beschlossen worden.

Wurden die Bilder damit Eigentum von Baldin?

Die Handlungen von Herrn Baldin machen ihn nicht automatisch zum Eigentümer. Er selbst hat niemals behauptet, Eigentümer der 362 Zeichnungen und zwei Bilder zu sein. Er war faktisch nur Besitzer, indem er sie nach Moskau brachte. Er hat nicht wie ein Eigentümer gehandelt. Er hat niemandem vorgeschlagen, die Bilder zu kaufen.

Gibt eine Aussage Baldins bezüglich der Zukunft der Bilder?

Baldin hat oft bei den Behören beantragt, die von ihm, wie er selbst schreibt „geretteten“, Zeichnungen an die Bremer Kunsthalle zurückzugeben. Er wußte, wem die Bilder gehören, weil ja jedes einzelne mit einem Stempel versehen ist. Deshalb hat er sie in einem Architekturmuseum untergebracht – nicht in einem russischen Museum. 1973 schrieb er wegen einer Rückgabe an Breschniew. Der Leiter der Behörde, des Stadtamtes für Architektur und Bauwesen hat den damaligen Genossen Baldin unterstützt. Ich kann das alles aus Archiven belegen. Die Dokumente habe ich alle in Händen gehalten. Im Jahre 1988 und 1989 hat Baldin sogar an Raissa Gorbatschowa geschrieben, die damals Mitglied des Präsidiums des sowjetischen Kulturbundes war. Und an Gorbatschow. Und zuletzt an Präsident Jelzin. Gibt es Hinweise auf die Motivation von Baldin?

Die Begründung war, daß die Sammlung der Bremer Kunsthalle gehört und deshalb zurück muß. In anderen Briefen stand etwas über das deutsche Volk... aber hauptsächlich war es wohl die Überzeugung, daß die Bilder dem Bremer Museum gehören.

Hat diese Position in Rußland eine rechtliche Relevanz?

Baldin hat ja nie behauptet, daß ihm diese Bilder gehören. Es gab keinen Grund zu meinen, daß diese Zeichnungen dem sowjetischen Staat gehören. Die Zeichnungen liegen in einer besonderen Abteilung des Museums für Architektur, im Archiv. Sie waren niemals in dem Magazin eines Museums gelagert. Nicht dort und in keinem anderen Museum.

Könnte man so weit gehen zu sagen, Baldin hielt – angesichts der jetzigen Situation – sein Handeln am Ende für einen Irrtum?

Nein, das können nur die Vertreter der neuen Generation fragen. Die Leute meiner Generation wissen, was in Deutschland in den letzten Monaten des Krieges los war. Natürlich, juristisch könnte man sagen, es war eine unerlaubte Handlung. Aber die unerlaubte Handlung hat doch überhaupt erst zur Rettung der Kollektion geführt. Hätte Baldin die Sammlung nicht gerettet, wäre die Wiederherstellung der Kollektion in Bremen viel schwieriger. Dann wäre die Situation heute viel schlimmer. Dafür gibt es genug Beispiele von englischen oder amerikanischen oder auch sowjetischen Soldaten. Wenn jeder ein Bild im Ranzen in seine Heimat schleppt, wird die ganze Kollektion verstreut. Das war ja der Fall bei einem anderen Teil der Bremer Kollektion. Da machten sich einzelne zu Besitzern der Bilder, verkauften sie – und schon taucht die juristische Frage nach dem gutgläubigen Besitzer auf. Das heißt nach dem, der nicht weiß, woher der Verkäufer die Zeichnung hat. Das alles hat Baldin nicht gemacht. Er hat sie als Ganzes bewahrt, weil er den Wert der Kollektion verstand. Es gab verschiedene Begründungen an verschiedenen Stellen, aber alle münden in die Forderung, die Sammlung an Deutschland zurückzugeben. Zu diesem Vorschlag Jelzin 1991 handschriftlich vermerkt, daß es – wörtlich übersetzt – gerecht wäre, diese Kulturschätze zu übergeben.

Plädieren Sie, der Jurist, für die Entscheidung im Einzelfall?

Ja. Nach meiner persönlichen Meinung muß man nicht nur eine künstlerische Expertise erstellen. Die war hier klar: es sind alles Werke aus der Bremer Kunsthalle, das ist unzweifelhaft. Außerdem muß man nach meiner Meinung eine juristische Expertise durchführen. Ich habe anhand der Dokumente versucht nachzuzeichnen, wie die Bilder nach Moskau kamen und juristisch bewertet, was Baldin mit ihnen gemacht hat undsoweiter. Ich bin zum Schluß gekommen, daß es vom juristischen Standpunkt aus keine Umstände gibt, die der Rückgabe im Wege stehen. Zu einer solchen Ansicht kamen auch die Vertreter der russischen und Bremischen Seite.

Welche Instanz muß in Rußland nun diese juristische Einschätzung akzeptieren?

Die erste Instanz hat das schon getan: Die Staatliche Kommission für die Rückkehr von Kulturgütern hat die Empfehlung einstimmig angenommen. Eine Empfehlung. Nun muß es die zweite Instanz besiegeln. Aber es ist nicht klar, wer das sein kann. Im Statut der Staatskommission steht, daß die endgültige Entscheidung vom „höchsten Staatsorgan der Macht und Verwaltung“ getroffen wird. Nach unserer Verfassung von 1993 ist das der Präsident oder die Regierung. Eines von beiden Organen muß eine Entscheidung treffen. Aber es ist noch unbestimmt, wer diese Entscheidung treffen wird und wie die Lage sein wird. Die Frage der Rechtmäßigkeit ist hier doch klar.

Wenn es ein individueller Weg ist...

...ja, man muß einen individuellen Weg gehen...

gibt es Möglichkeiten, diese individuelle Entscheidung seitens Bremens zu beeinflußen?

Das ist eine schwierige Frage. Bremen ist eine freie Hansestadt und vollständig selbstständiges Rechtsubjekt. Wie die Bremer Seite sich führen muß, dazu will ich keine Ratschläge geben.

Sie haben bezüglich der Verhandlungen bei einem früheren Vortrag von der „russischen Seele“ gesprochen.

Ja, da habe ich richtig gesprochen, ich habe sogor Tutschew zitiert, der gesagt hat: „Mit dem Verstand ist Rußland nicht zu begreifen. An Rußland muß man glauben.“ Aber Ratschläge will ich keine geben. Ich kenne die Senatorin persönlich. Wer hier mit der Angelegenheit befasst ist, wird das alles selbst entscheidenn. Aber ich möchte doch meinen Wunsch zum Ausdruck bringen, daß die Sache friedlich und gut beendet wird und die Bilder in die Bremer Kunsthalle zurückkehren. Fragen: Eva Rhode

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