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Häftlingsproteste im DDR-Knast

■ Proteste in zwei weiteren Gefängnissen/ Dachbesetzungen in Brandenburg, Gräfentonna und Rummelsburg/ Aktion gegen politisch motivierte Verurteilungen/ Amnestie und Aktenüberprüfung gefordert

Berlin (adn/taz) — Auf zwei weitere Gefängnisse haben sich Häftlingsproteste ausgeweitet. Nachdem sich am Mittwoch im Brandenburger Knast vier Häftlinge auf dem Dachboden verschanzt hatten, besetzten am Donnerstag abend zwölf Gefangene in der thüringischen Haftanstalt Gräfentonna und 24 im Berliner Gefängnis Rummelsburg die Dächer. Die Gefangenen von Gräfentonna beendeten ihre Aktion allerdings am frühen Freitag, nachdem sie mit einem Vertreter der Bezirksverwaltung Erfurt gesprochen hatten und ihre Forderungen an Innenminister Diestel übermittelt worden waren. In Brandenburg und Rummelsburg harren die anderen Gefangen weiter aus.

Während die Brandenburger die Prüfung ihrer Verfahrensakten, eine Reduzierung vor allem der lebenslangen Strafen und eine nach Schuldmaß gestaffelte Amnestie fordern, bestehen die Häftlinge in Gräfentonna und in Berlin-Rummelsburg auf einer Amnestie.

Die vier Brandenburger haben ihr Ultimatum, nach 24 Stunden in die Tiefe zu springen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden, ausgesetzt. Ihre friedliche Aktion sei keine Revolte, erklärten die Häftlinge. Durch die konstruktive Haltung der Vollzugsleitung, der Besetzer und anderer Insassen sei eine Meuterei von vornherein ausgeschlossen worden.

Zur Zeit sitzen in Brandenburg über 1.000 Häftlinge zumeist langjährige oder lebenslange Strafen ab. Nach Angaben der Polizei sind drei der Revoltierenden wegen Mordes beziehungsweise schwerer Brandstiftung zu Haftstrafen bis zum Jahr 2002 verurteilt. Einer der Besetzer verbüßt lebenslange Haft.

Die Rummelsburger Besetzer klagen ein, daß es nach der friedlichen Herbstrevolution in der DDR „für jeden eine Chance“ geben müsse, „sich etwas aufzubauen“. „Wir sind schuldig, aber Straftat und Strafmaß müssen übereinstimmen“, betonte Peter Trenn, der unter anderem wegen sogenannter „versuchter Republikflucht“ und einem Ausbruchsversuch aus einer Haftanstalt seit 1970 einsitzt, gegenüber Journalisten. Wie er, kritisierte auch Manfred Hildebrandt die teilweise „politisch motivierten Verurteilungen“.

Den Justizorganen warfen sie vor, Gnadengesuche und Aktenüberprüfungen zu ignorieren. Die bereits vor Wochen bei einer ähnlichen Aktion von Innenminister Peter-Micheal Diestel und der Volkskammerabgeordneten Vera Wollenberger (Bündnis 90/Grüne) zugesicherte Unterstützung ihres Anliegens sei bislang ohne Ergebnis geblieben.

Die angekündigte Verlegung der etwa 200 Gefangenen in Westberliner Haftanstalten sei für die Häftlinge nicht das Hauptproblem. Allerdings wollen die von Ostberliner Gerichten Verurteilten erreichen, daß ihre Akten auch in diesem Teil der Stadt überprüft werden.

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