HERMANN-JOSEF TENHAGEN HAUSHALTSGELD : Sehen und gesehen werden
Planen Sie Ihren nächsten Urlaub? Dann sollten Sie Ägypten oder Tunesien buchen
Als Journalist sollte ich keine Ferndiagnose wagen, sondern immer schön vor Ort recherchieren. Vor Ort recherchieren beginnt in meinem Fall vor vier Wochen am Essener Hauptbahnhof. Genauer am Taxistand. Der Fahrer, der mich quer durch die Stadt fährt, ist ein junger Araber. Einer, der um seine Begeisterung für die „Jasminrevolution“ in Tunesien keinen Hehl machte. „Saddam war ein lausiger Diktator. Aber es ist ein Unterschied, ob wir endlich unsere lausigen Diktatoren selbst vertreiben oder ob die Amerikaner die Vertreibung eines Diktators zum Vorwand nehmen, ein Land zu besetzen.“
Die jungen Leute in den Nachbarländern Tunesiens hätten das Signal gut verstanden, so der Taxifahrer damals – sie demonstrierten ja schon – „wie damals in Osteuropa“. Er erzählt von Dingen, die die Nachrichten beherrschen: Twitter und Facebook in Arabien, junge Frauen, die gegen alternde Potentaten aufstehen – und jede Menge Kritik, weil seine Landsleute die Korruption zugelassen hätten.
Anklagend klang das nicht. Dabei werden dem Ben-Ali-Clan gute Kontakte zur deutschen Autoindustrie nachgesagt. Und die Familie des für uns Deutsche so zuverlässigen Husni Mubarak mit seinen zwei Söhnen und seiner walisischen Frau Suzanne (britischer Pass) soll 40 Milliarden Euro auf die Seite gebracht haben. Gleichzeitig ist die Regierung von der Weltbank 2007 als einer der Reformstaaten schlechthin gelobt worden sein. Tss, tss.
Zum Thema, warum gerade Tunesien und Ägypten, kamen wir nicht. Ich aber erinnerte mich an zwei heiße Wochen an der Shark Bay nahe Scharm al-Scheich vor fast 15 Jahren. Die jungen Ägypter, die das „Glück“ hatten, uns über den Sinai kurven zu dürfen, sprachen ungezwungen, manchmal fast mit ein bisschen Neid über die Israelis kurz hinter der Grenze in Eilat. In Nuweiba wurde gemeinsam gekifft. Die Vorstellungen vom guten Leben schienen sich kaum zu unterscheiden, nicht wesentlich. Die Sicherheitsleute, die rund um die Hotelkomplexe allgegenwärtig waren, vergaß man in solchen Momenten.
Reisen bildet, womöglich auch in den bereisten Ländern. Von allen arabischen Ländern leben in Ägypten und Tunesien sicher die meisten jungen Menschen, die regelmäßig Kontakte zu Touristen haben. Stimmt die These, hat der Tourismus den Boden für solche Revolutionen mit bereitet. Twitter und Facebook sind „nur“ ihr Instrument. Wie vor 200 Jahren die Presse.
Die Erfahrungen der vergangenen vier Wochen sind nachhaltig: Das System wackelt. Die Kontakte mit den Touristen und die Gespräche über das bessere Leben werden nicht verschwinden. Jedenfalls wenn „wir“ weiter hinfahren – und uns nicht in irgendwelche All-inclusive-Bettenburgen sperren lassen. Für das Streben der jungen Ägypter und Tunesier nach einem besseren, auch einem demokratischeren Leben können wir wohl nichts Besseres tun, als wieder hinzufahren. So bald als möglich und mit so viel Kontakt zu den Gastgebern wie möglich. Touristen nützen der Demokratie.
P.S.: Wenn Sie Reisen und Reden allein zu wenig finden, dann fragen Sie doch Ihren Reiseveranstalter, ob der geschäftliche Kontakte zu Ben Alis tunesischer Entourage oder Husni Mubaraks Clan hat, und wenn ja, wie er künftig dafür sorgen will, dass ihr Geld in den schönsten Wochen des Jahres etwas fürs Land tut und nicht die Koffer der Potentaten füllt. Das wäre echte Hilfe zur Selbsthilfe.
■ Der Autor ist Chefredakteur von Finanztest Foto: Karsten Thielker