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HANDKANTENBRIGADEN

■ Die Rückkehr ins Shaolin-Kloster im Tempodrom

HANDKANTENBRIGADEN

„Die Rückkehr ins Shaolin-Kloster“ im Tempodrom

An der Bushaltestelle in der Potsdamer Straße am Freitag abend: Frankfurter und Bochumer Fußballfans proben Schlachtgesänge für das Pokalfinale, Rosensträuße werden von bitteren braunen Augen angeboten, und Hornbrillenträger, die offenbar in Britz als Pfarrer jobben, sind mit ihren Töchtern auf dem Weg in die Philharmonie. Einige Ex-Ostler wollen vor dem Reichstag zelten, und ins Tempodrom ziehen die 30jährigen Vertreter der Sinnsucherfraktion, um sich „Die Rückkehr ins Shaolin-Kloster“ reinzuziehen, eine Aufführung der hiesigen Kung Fu-Academy, die die Ursprünge des chinesischen Schattenboxens darstellen soll. Weddinger Heavy Metal-Fans und vereinzelte Jogginganzüge vervollständigen das Publikum, das schließlich aufgeregt unter dem Zeltdach tuschelt und rumort.

Nun ist der west-östliche Kulturaustausch meist eine delikate Angelegenheit, die gern mit Mystifikationen und Effekthascherei arbeitet. Schmunzelnd sehen wir die Rotchinesen an Colaflaschen nukkeln, nicht wahr, und was Kung Fu angeht, so haben wir uns früher an den zahllosen Bruce Lee-Filmen ergötzt, die Nahrung boten für unsere Kleinjungenträume, Vati mal eins vor den Latz zu geben. Und auch der darauffolgende Zen-Trip hat uns ja irgendwie echt was gebracht. Und außerdem interessiert uns noch der sportive Aspekt der Sache. Prima also, daß Meister Bambang mit seinen Leuten dies Theaterstück geschrieben hat und endlich mit der ganzen Story rüberkommt. Aber mal der Reihe nach.

Um das Jahr 500 entwickelt Bodhidharma, Begründer des Chan -Buddhismus (die chinesische Version des Zen), im Shaolin -Kloster Atemtechniken und Körperübungen für seine Mönche. (Und spätestens hier trennen sich die Sinnsucher von denen, die den Sinn leben: denn solche Übungen sind nicht ohne Effekt und kosten ein Höchstmaß an Disziplin - d.S.) Wegen fortlaufenden Ärgers mit Banditen und kaiserlichen Soldaten werden die Üungen ausgebaut zu einem Selbstverteidigungssystem, das meditative Übungen („die 18 Hände Buddhas“) und von Tieren abgeschaute Kampfpraktiken („Stil des Tigers, des Leoparden, der Schlange, des Kranichs und des Drachens“) vereint. Im Laufe der Jahrhunderte wird Kung Fu von den Mönchen in ganz China verbreitet, was die Zersplitterung des Stils in unzählige Stilformen zur Folge hat. Das Theaterstück erzählt die Geschichte nach den bekannten Klischees. Ein verwaister Junge wird von den Mönchen aufgenommen, dann auch andere Kinder, sie werden unterrichtet in Meditation und Kung Fu, als erwachsene Mönche stehen sie den Bauern gegen böse Banditen bei, kämpfen heldenhaft gegen kaiserliche Soldaten und werden schließlich doch gefangengenommen. Die Szenen werden, nachdem die Grundübungen und die fünf Tierstile vorgeführt sind, zunehmend mit stilisierten Prügeleien gefüllt, die kaum anders in jedem blöden Taiwan-Schinken zu sehen sind, aber die Zuschauer doch in Stimmung bringen. Und als sei das nicht genug, wird dann immer tiefer in die Trickkiste der Überwältigung gegriffen. Feuerwerk, Nebeldämpfe, Trommelei und Tschingderassabumm. Übereinandergestapelte Ziegel werden von den Mitwirkenden satt durchgehauen, die ganze Palette martialischer Waffen wird geschwungen, der Meister verbiegt eine Eisenstange, schlägt seinen Schülern zersplitternde Holzleisten um die Ohren und läßt schließlich sieben Eisblöcke aufeinanderstapeln. Die haut er dann auch ganz toll durch. Und das Publikum rast.

Man verstehe mich nicht falsch. Die Darsteller waren allesamt gut drauf und topfit. Prächtige Körperbeherrschung. Volle Konzentration. Anmutige Bewegungen. Auch der Meister hat sich nicht lumpen lassen. Gute Truppe, insofern. Aber darum geht es nicht. Die Begeisterung für die asiatischen Kampfkünste ist eine sympathische Sache (das sage ich als stolzer Karate-Weißgürtel) und sollte nicht durch mystifizierende Sensationsdarbietungen vergurkt werden. Das Dachziegeldurchhauen ist eines der ältesten Klischees des Westens über die Kampfkünste, und das Klostergemurmel eines der kindischsten. (Hier im Westen verkommt diese meditative Kunst zum primitiven Boxen, der religiöse Hintergrund wird vollkommen vergessen - d.S.) Das ist ebenso falsch wie die westliche Versportlichung und Kraftmeierei. Eine ernsthafte und bescheidene Einführung ins Kung Fu ohne Kitsch und Brimborium hätte den hohen Eintritt gerechtfertigt. So war's schade drum.Olga O'Groschen

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