HANDBALL: Bewusstes Understatement
Für die Füchse geht es aufwärts: Nach einem Überraschungserfolgkönnen sich die Berliner nun doch Hoffnungen auf einen europäischen Wettbewerb machen
Die Sonne heizte die Halle zur Sauna auf. Und sie stach Silvio Heinevetter durch das Glasdach der Karlsruher Europahalle penetrant in die Augen. "Ich habe keinen Ball mehr gesehen, das war eine große Behinderung", klagte der Torwart der Füchse Berlin nach dem Spiel. Doch nicht einmal Naturgewalten konnten die Füchse am Sonntag aufhalten. Überraschend gewannen sie gegen den Tabellenvierten, die Rhein Neckar Löwen aus Mannheim, mit 33:26 (14:13).
Kurz nach der Halbzeit hatten die Berliner eine Schwächephase des vermeintlich übermächtigen Gegners ausgenutzt. Innerhalb weniger Minuten erhöhten sie ihren knappen 16:15- Vorsprung auf 21:15. Die Zuschauer im Ausweichquartier der Rhein Neckar Löwen staunten über die mit chirurgischer Präzision ausgeführten Gegenstöße der Gäste und die brillanten Paraden des zeitweise gehandicapten Torwarts Heinevetter. Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson reagierte nach dem Spiel mit überschwänglichem Lob: "Man bekommt kein besseres Beispiel für eine Mannschaftsleistung."
Dabei hatte Manager Bob Hanning das Spiel im Vorfeld bereits abgeschrieben: "Wir verlieren dort. Ich bin Realist. Die haben einen dreimal so hohen Etat." Mit dem Überraschungserfolg konnte Hanning nicht rechnen. Dass der Erfolg im Nachhinein nun noch größer erscheint, ist aber durchaus erwünscht. Hanning versteht es, sein Team zu vermarkten. Torwart Heinvetter sagte nach dem Spiel: "Wir wussten von Anfang an, dass wir hier nicht chancenlos sind."
Das Selbstvertrauen der Füchse hat in letzter Zeit beträchtlich zugenommen. Acht der letzten neun Spiele gewannen sie. Und plötzlich liegt das scheinbar schon verpasste Saisonziel, ein Tabellenplatz, der für die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb berechtigt, wieder in greifbarer Nähe. Nachdem die deutschen Teams Lemgo und Gummersbach beste Aussichten haben, ihre europäischen Finalspiele zu gewinnen, würde den Füchsen nun schon der achte Platz genügen. Hierzu fehlt nicht mehr viel. Nur wegen des schlechteren Torverhältnis rangiert das Team derzeit einen Rang dahinter.
Auch wenn es nicht klappe, wäre er "mehr als zufrieden", behauptet Hanning. Das Team spielt seine dritte Erstligasaison. Nach Rang zwölf und zehn deutet sich dieses Jahr in der Abschlusstabelle wieder eine kleine Steigerung an. "Organisches Wachstum" nennt Hanning das. Ohne Unternehmen im Rücken, wie etwa Alba Berlin, könne man keine großen Sprünge machen.
Trotz der propagierten Stetigkeit kann man bei genauerem Hinsehen bei den Füchsen große Schwankungsbreiten feststellen. Vergangene Saison absolvierten sie eine enttäuschend schwache Rückrunde und schassten ihren Trainer Jörn-Uwe Lommel. Sein Nachfolger, der Isländer Dagur Sigurdsson, hatte trotz namhafter Verstärkungen Probleme, ein schlagkräftiges Team zu formen. Heimspiele gegen die Konkurrenz im Tabellenmittelfeld wurden verloren. "Der Spielplan war ungünstig", sagt Sigurdsson. "Diese Gegner kamen zu früh für uns." Aber auch gegen Schwächere wie Wetzlar und Dormagen ließ man Punkte. Erst in den letzten Monaten gewannen die Füchse an Stabilität. "Die Spielzüge sind besser geworden, das Timing stimmt jetzt", erklärt Sigurdsson. Manager Hanning lobt, dass der Coach einen neuen Geist in den Verein gebracht hätte. Sigurdsson kommuniziere anders und arbeite sachlich und ruhig. Sein Vorgänger Lommel galt als autoritär und cholerisch.
Nächste Saison sollen die Füchse wieder um ein, zwei Tabellenplätze nach oben klettern. Der Etat wird dafür um eine knappe halbe Million Euro erhöht. Mit dem deutschen Nationalspieler Sven-Sören Christophersen und dem Isländer Alexander Petersson hat man bereits prominente Verstärkung geholt.
Angesichts des stetigen Wachstums stellt sich die Frage, wie weit die Füchse noch nach oben kommen können. "Unter die ersten Drei werden wir es nie schaffen", antwortet Hanning. "Einen Zwölf Millionen Euro-Saisonetat werden wir nie stemmen können." In der Publikumsgunst stünde man immerhin mit einem Schnitt von 8.000 Zuschauern auf dem vierten Platz. Ob der ehrgeizige Manager wirklich an Wachstumsgrenzen glaubt, darf man bezweifeln. Womöglich ist es bewusstes Understatement, um den Erfolg hinterher noch größer erscheinen zu lassen.
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