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Besuch aus BonnGysis großer Gig

■ Stell Dir vor, Gregor kommt zu den Studenten, und keiner stellt eine Frage

Seine Vergangenheit holt ihn doch immer wieder ein. Kaum hatte Gregor Gysi mit reichlich Verspätung, aber dafür ganz alleine, die heiligen Hallen der Bremer Geisteswissenschaftler betreten, schoß schon eine aufgeregte Studentin im Minirock auf ihn zu. Sie sitze an ihrer Magisterarbeit über den spanischen Bürgerkrieg und interessiere sich für die Rolle Erich Mielkes in demselben. „Sie wissen doch bestimmt, wie ich an Material kommen kann.“Ob es ihm peinlich war oder nicht - er wußte.

Dabei gab es schon vor seiner Ankunft Ärger: Ausgerechnet am vorletzten Tag der Wahlen zum Studierendenrat hatte die Uni-PDS den publicityträchtigen Gast in das GW2-Gebäude der Bremer Universität eingeladen. Das ging natürlich nicht. Die Cafeteria sei zu nah an den Urnen, meuterte die Wahlkommission. Die Veranstaltung wurde eine halbe Treppe nach oben verlegt, und das Wort Uni-PDS sollte ihm nicht über die Lippen kommen. An denen hingen immerhin etwa hundert Wahlberechtigte.

Nun kann Gregor Gysi auf ein paar Worte locker verzichten, ohne deshalb gleich ins Stottern zu kommen. Und da die Veranstaltung jeglicher Moderation entbehrte - abgesehen von der Ankündigung eines „ganz großen Acts“voller „gregorianischer Gesänge“-, sprach er sich frei von der Leber, was er schon lange mal sagen wollte: Daß ein politisches Mandat für einen AStA unentbehrlich sei, von der „Globalisierungsfalle“, der Währungsunion, und welche Auswirkungen letztere auf den Bremer und den Lissaboner Heizungsbauer hätte. Das alles mit dem Mikro in der einen, der Zigarette in der anderen Hand, für die ihm die fürsorglichen Veranstalter einen aus Papier gebastelten Aschenbecher hingestellt hatten.

Schließlich outete er sich noch als echter Demokrat, wetterte gegen jede Form „linken Avantgardedenkens“: „Das endet immer in der Diktatur.“Die Enttäuschung konnten zumindest einige der anwesenden Langzeitstudenten der Soziologie oder Politologie nicht so recht verbergen, doch „Gregor“blieb unerbittlich: „Auch wir haben die Pflicht, eine Mehrheit der Gesellschaft von unseren Ideen zu überzeugen.“Da muß der junge Mann, der gefragt hatte, ob in einer „imperialistischen Ära“die Forderung nach einem Sozialstaat überhaupt die richtige sei, wohl noch viel Arbeit leisten.

Ansonsten gaben sich die sonst so diskutierfreudigen Studenten mundfaul. Dabei hatte man sich so gefreut. „Was, Gregor kommt?“, hallte es vor seiner Ankunft durch den Flur. „Das ist ja toll.“So richtig angekündigt war der Auftritt nämlich auch nicht.

Zu guter Letzt war einer - hoffentlich einer der Veranstalter - sich dann nicht zu schade, den Besucher aus Bonn zu bitten, das Arbeitsmarktprogramm seiner Partei zu rezitieren - was der dann auch bereitwillig in voller Länge zum besten gab. Und bevor Gysi in den Hörsaal gehen durfte, um dort noch einen Vortrag zu halten, mußte er noch ein paar Bilder signieren. „Gucken Sie mal, Herr Gysi, das bin ich beim Bürgerschaftswahlkampf.“ jago

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